Russland: Großprozession durch das Stadtzentrum von Moskau
Am 7. September hat in Moskau eine Kreuzprozession anlässlich des Tags der Heiligen von Moskau stattgefunden. Sie führte von der Christ-Erlöser-Kathedrale zum Neujungfrauen-Friedhof und wurde vom russischen Patriarchen Kirill geleitet. In allen Moskauer Kirchen gab es lediglich frühe Gottesdienste um 7 Uhr, damit möglichst viele Gläubige zur 10-Uhr-Liturgie in die Christ-Erlöser-Kathedrale kommen würden. Laut offiziellen Zahlen nahmen 20‘000 bis 40‘000 Personen an der Prozession teil, während einige Augenzeugen von viel höheren Zahlen von 70‘000 bis 150‘000 sprechen.
Die Teilnahme an der Prozession wurde offenbar vom Moskauer Patriarchat angeordnet. Die Moskauer Kirchen erhielten ein Rundschreiben mit der Aufforderung, die Teilnahme von mindestens 30 Gemeindemitgliedern aus jeder Kirche sicherzustellen. Kirchen mit mehreren Geistlichen sollten 50 Gemeindemitglieder für die Prozession motivieren. Mit Blick auf die offiziellen Angaben über die Zahl der Kirchen in Moskau hätten so 22‘000 bis 30‘000 Teilnehmer aufgeboten werden sollen, wie die Orthodoxie-Expertin Ksenia Luchenko schrieb. Sie wies darauf hin, dass die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) in Moskau lange keine solche Massenveranstaltung organisiert habe, und zu diesem Datum und auf dieser Route noch gar nie. Die Demonstration, dass sie massenhaft über Anhänger verfüge, werde der ROK aber nützlich sein.
Die Aktion wurde von einem beträchtlichen Aufgebot an Sicherheitskräften überwacht. An der Prozession nahmen auch orthodoxe Vereinigungen wie die „Russische Gemeinde“ teil. In der Menge waren zahlreiche Flaggen mit Heiligen zu sehen, aber auch Russland-Fahnen sowie Banner mit den Zeichen V und Z, die zur Propagierung von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine benutzt werden. Vielfach war der Ruf „Wir sind Russen – Gott ist mit uns“ zu hören, unter anderem auch von einem Grüppchen afrikanischer Seminaristen der ROK.
Patriarch Kirill nahm in seiner Rede vor dem Beginn der Prozession wieder einmal auf den Krieg Bezug, als er sagte, man „hat tatsächlich den Eindruck, dass wieder jemand versucht, die Kirche zu spalten und die Völker der Rus gegeneinander aufzubringen“. Darauf habe Russland schon immer nicht nur mit der „Mobilisierung aller Kräfte und dem Mut bei der Abwehr der Invasion durch Fremde“ reagiert, sondern auch mit inbrünstigem Gebet. Die Prozession sei ein Zeugnis dafür, dass Moskau wirklich die „orthodoxe Hauptstadt unseres Vaterlandes ist“. Einerseits sei die Stadt offen für Anhänger anderer Religionen, die ihren Beitrag an „unsere gemeinsame Geschichte anerkennen“. Zugleich gebe die Stadt ihr „christliches Erbe“ nicht auf. Eine solche Stadt sei „wirklich orthodox“, und er freue sich, dass die Hauptstadt Russlands eine solche Stadt sei. Darin liege eine „historische Wahrheit und Gerechtigkeit, an die wir, die Teilnehmer der Prozession, mit dieser unserer Tat erinnern und die wir bekräftigen“.
Darin sehen Beobachter eine Bestätigung für die Spekulation, dass die ROK mit der Prozession ihre Stärke gegenüber den Muslimen in Moskau demonstrieren wollte. Denn diese füllten zu ihren Feiertagen zahlreich die Straßen Moskaus.
Der ROK-Kenner Sergej Tschapnin schätzte die Prozession als bedeutendes Ereignis ein. Die Prozession sei ein Zeichen für die volle Loyalität der Gesellschaft gegenüber der ROK und der russischen Regierung, da es auch zu keinerlei politischen Provokationen gekommen sei. Die ROK habe außerdem ihre Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren, überprüft. Mit der Organisation war offenbar Erzbischof Savva (Tutunov) betraut, ein prominenter Bischof der ROK, der sich weiter profiliere und langsam „öffentlich seine Ambitionen zeigt“. (NÖK)