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Tschechien: Erklärung des Synodalrates der EKBB zum 100. Jahrestag

09. Mai 2019

Unsere Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) gedenkt in diesem Jahr der 100 Jahre seit ihrem Entstehen durch den Zusammenschluss der tschechischen Gemeinden der reformierten und der lutherischen Kirche in den Böhmischen Ländern zu einer Gemeinschaft. Die EKBB hat die Lehre beider Traditionen übernommen, und darüber hinaus hat sie sich bewusst und mit Freude zur böhmischen Reformation des 15. Jahrhunderts und zur „alten Brüderunität“ bekannt. Sie hat damit den Weg gedanklicher Vielfalt und Offenheit beschritten. Wir sind dankbar dafür, dass wir in unserer Kirche regelmäßig die biblische Botschaft vom Reich Gottes hören konnten, das für diese Welt bestimmt ist und Hoffnung gibt, die über unser Leben hinausreicht. Wir sind dankbar dafür, dass sich Evangelische in bedeutendem Maße und verständlicher Weise an der Ausbreitung des Evangeliums beteiligen konnten, unter anderem auch bei der Arbeit an der neuen tschechischen ökumenischen Übersetzung der Bibel.

Die heutige Gestalt der EKBB ist freilich von einer Reihe gesellschaftlicher Veränderungen und politischer Umwälzungen in den vergangenen 100 Jahren beeinflusst worden. Die Begeisterung über den neuen selbständigen Staat ging mit einem aufstrebenden nationalen Bewusstsein einher, das, auch wenn es mit dem Evangelium nicht viel gemeinsam hatte, stark in das Selbstbewusstsein der neuen Kirchengemeinschaft Einzug gehalten hat.  Die Erwartung, dass „die tschechische Nation zur Nation von Jan Hus wird“ und sich alle unter den Flügeln der evangelischen Kirche versammeln, hat sich alsbald als irrig und naiv erwiesen. Die folgende Enttäuschung hat wohl zur schrittweisen Erkenntnis beigetragen, dass die Kirche nicht aus der Tradition wächst und lebt, selbst wenn diese hervorragend ist, auch nicht aus allgemeiner Begeisterung, nicht aus Nationalismus, nicht aus der Negation des Vorherigen, sondern aus dem Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes und aus dem Vertrauen in Gottes Verheißungen.

Nach zwanzig Jahren freier Entwicklung folgten fünfzig Jahre Unfreiheit. Das nazistische Regime traf in grausamer Weiser vor allem unsere jüdischen Mitbürger. In der bedrückenden Atmosphäre drohender schwerer Strafen und allgegenwärtiger Angst lebten auch die Kirchen. Wir gedenken mit Hochachtung der Kirchenglieder, die im Kampf für Freiheit und Würde ihre Leben gaben, wie auch derer, die ihnen und ihren Familien beigestanden sind. Viele im Widerstand Engagierte bezahlten dies mit ihrem Leben. Wir bekennen, dass unsere Kirche nach der Niederlage des Nazismus nicht fähig war, den allgemein geteilten Drang nach Vergeltung abzulehnen, was zur Abschiebung der Deutschen führte.

An diese Atmosphäre in der Gesellschaft knüpfte die kommunistische „Diktatur der Arbeiterklasse“ an mit Klassenhass und Verfolgung der „nichtwissenschaftlichen Meinungen“, mit dem Kampf gegen das religiöse „Dunkelmännertum“. Menschen verließen die Kirche aus Angst um den Arbeitsplatz, um einen Studienplatz für ihre Kinder, viele legten ihre Kirchenzugehörigkeit sehr leicht ab. Wir sind dankbar für die, die trotz aller Erniedrigungen, Schikanen und Verhöhnung in den Gemeinden geblieben sind und auch ihre Kinder zur Gemeinde geführt haben. Mit Hochachtung gedenken wir aller Opfer des „Klassenhasses“ und der gewaltsamen Kollektivierung, die inhaftiert wurden, ihres ganzen Eigentums beraubt, vertrieben von ihren Höfen, und ganz besonders derer, die dies alles ihres Glaubens wegen ertragen haben. Nicht immer fanden sie ihn ihren Gemeinden Unterstützung und Solidarität. Im Jahr 1968 hat die Synode der EKBB das Versagen der Kirche bekannt, aber gegen den Druck der „Normalisierung“ haben ihre Kräfte wieder nicht gereicht.

Die Aussichten auf einen Sturz des Regimes waren nicht besonders real. Wir schätzen diejenigen, die sich an die Hoffnung hielten, dass es möglich ist, „die sozialistische Ordnung“ zu reformieren, zu humanisieren und Freiheit forderten und die Einhaltung der bestehenden Gesetze und internationalen Verpflichtungen. Für die Kirchenleitung stellten sie eine Komplikation dar, und auch in den Gemeinden fanden sie nicht immer Verständnis. Ihr Verständnis christlicher Engagiertheit fand später Widerhall in der Erklärung und dem Wirken der Charta 77, an dem sich einige von ihnen beteiligten.

Wenn wir des 100. Jahrestages der Gründung der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder gedenken, tun wir das nicht, weil wir sie feiern wollen. Es gibt nichts zu feiern außer unserem Gott. Wir sind dankbar dafür, dass wir schon fast 30 Jahre in Freiheit leben, und für die Möglichkeiten, die die freien Bedingungen gebracht haben für unsere evangelischen Schulen, für die Arbeit unserer Diakonie. Ständig und in allem vertrauen wir auf Gottes Barmherzigkeit. Unsere Gemeinden sind kleiner, schwächer, viele einst lebendige Gemeinden siechen vor sich hin, einige sind schon verschwunden. Die Aussicht in die Zukunft verdunkeln Sorgen. Bitten wir um das Geschenk zu verstehen, was unser Herr von uns will in der heutigen sich verändernden Welt. Hoffentlich betrachten wir nicht etwas Unwichtiges als rechtes Christentum und das Wesentliche sehen wir nicht oder haben keinen Mut dazu? Wie sollen wir die Völker in Bewegung verstehen, das Gewirr von Religionen, Glauben und Aberglauben, die Flut von Informationen über Ereignisse in Ländern, die für uns bis vor Kurzem weit weg waren und heute wie vor unserer Haustür liegen? In erster Linie geht es nicht darum, wie unsere Vergangenheit war, sondern es geht darum, was unsere Aufgabe heute ist. Wohin bewegt sich die Welt heute und was ist unser Ort darin? Es geht nicht nur um unsere Gemeinden, es geht um die Gesellschaft, in der wir leben. Es geht um die Welt, die Gott liebt und in die er uns gestellt hat, damit wir mitten in ihr leben als Kirche Christi und in sie Verständnis und Offenheit für einander bringen, Mitgefühl und Solidarität, Wahrheit und Liebe, Freude und Hoffnung. (Quelle: www.e-bulletin.cz, 16. April 2019)