Bosnien-Herzegowina: Arbeitskreis St. Irenäus tagte zu Einheit und Schisma
Mit den Zentralbegriffen Einheit und Schisma hat sich der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus bei seiner 16. Jahrestagung auseinandergesetzt. Die Konferenz fand auf Einladung der serbisch-orthodoxen Kirche von 9. bis 13. Oktober im herzegowinischen Trebinje statt, wie die Stiftung Pro Oriente berichtete. Die Leitung der Tagung hatten der katholische Ko-Präsident des Arbeitskreises, Bischof Gerhard Feige (Magdeburg) und sein rumänisch-orthodoxer Ko-Präsidentenkollege, Metropolit Serafim (Joant) von Deutschland und Zentraleuropa (Nürnberg) inne.
In Trebinje wurden biblische, historische und systematische Ansätze im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Einheit und Schisma behandelt. Im Abschlusskommuniqué wird festgestellt, dass „eine Polarisierung“ zwischen den Begriffen Einheit und Schisma „allzu vereinfachend“ ist. Vielmehr gebe es ein breiteres Spektrum, „in dem Grade von größerer oder geringerer Nähe wahrgenommen werden können“. Einheit bedeute also nicht Uniformität, sondern schließe ganz verschiedene Formen der Gemeinschaft ein, die mit verschiedenen Begriffen bezeichnet werden können.
Bei der Diskussion, was mit kirchlicher Einheit gemeint ist, müsse man verschiedene Ebenen unterscheiden: Eine essenzielle Ebene, die nach dem inneren Wesen der Kirche fragt, eine strukturelle Ebene, die eher empirische und organisatorische Aspekte der Einheit reflektiert, und eine potenzielle Ebene, die Wege der Vereinigung entwickelt. Die drei Ebenen sollten weder vermischt noch isoliert voneinander behandelt werden. Einheit sei nicht nur durch die üblichen formalen Kriterien zu bestimmen, sondern könne auch in einer spirituellen und gemeinschaftlichen Erfahrung gefunden werden, „die zu einem gewissen Grad konfessionelle Grenzen überschreiten kann“.
Das Thema „Einheit und Schisma“ erfordere noch viel weitere Forschung, heißt es im Abschlusskommuniqué. Dabei wird auf den großen französischen Dominikanertheologen Kardinal Yves Congar Bezug genommen, der in seinem Werk „Zerrissene Christenheit“ einen „nützlichen Ausgangspunkt“ in seiner Beobachtung biete, dass die Trennung zwischen Ost und West darauf beruht, eine Lage zu akzeptieren, „in der jeder Teil der Christenheit lebt, handelt und urteilt, ohne sich um den anderen zu kümmern“. Diese Bemerkung stelle die soziologischen, psychologischen und die Imagination betreffenden Aspekte des Schismas heraus.
Schon im Alten Testament sei Einheit keine Selbstverständlichkeit, sondern es gebe eine Vielzahl von Modellen für Einheit und Konfliktlösung (z.B. die Erzählungen über David, Saul und Jonathan, die unterschiedliche Elemente von Konflikt und Vergebung zeigen), wird im Abschlusskommuniqué erinnert. In den Abschiedsreden Jesu im 17. Kapitel des Johannes-Evangeliums sei die enge Beziehung von Jesus zu seinem Vater zugleich die Grundlage des Aufrufs zur Einheit der Christen. Obwohl „Parteiungen“ – etwa im 1. Korinterbrief – als „unvermeidlich“ bezeichnet werden, zeige das Zeugnis der Heiligen Schrift, dass einige „Parteiungen“ zu spirituellem Wachstum und andere zu andauernden Spaltungen führen können.
In der kirchlichen Tradition hänge der Begriff der Einheit von gewissen philosophischen, kulturellen und historischen Voraussetzungen ab, „die nicht notwendigerweise mit denen der frühen Kirche identisch sind“. De facto habe das Konzept der Einheit einen Wandel durchlaufen, weil seine metaphysischen Grundlagen durch existenzielles und historisches Denken infrage gestellt wurden.
Der Begriff „Schisma“ decke ein breites Spektrum kirchengeschichtlicher Ereignisse ab, die sich früher oder später zu einer Spaltung in der Kirche verhärtet haben, wird im Abschlusskommuniqué betont: „Schisma bezeichnet ganz unterschiedliche Phänomene, die von Kontroversen innerhalb einer Ortskirche über Konflikte zwischen zwei Ortskirchen (wie im Ketzertaufstreit zwischen Rom und Karthago) bis hin zu Spaltungen innerhalb und zwischen ganzen Patriarchaten aufgrund gegenseitiger Anathemata (wie im endlosen Streit um das Konzil von Chalcedon 451) und schließlich dem Bruch der Gemeinschaft zwischen den Kirchen von Ost und West reichen“. In den ersten christlichen Jahrhunderten seien die Begriffe „Schisma“ und „Häresie“ (Irrlehre) oft austauschbar verwendet worden. Erst im Zusammenhang mit der Entstehung der römischen Reichskirche habe man genauer zwischen den beiden Begriffen unterschieden: „Unter Häresie wurde vor allem ein Verstoß gegen einen Glaubensartikel verstanden, während ein Schisma unter anderem aus der Nichtanerkennung kirchlicher Autorität resultierte. Angesichts der zunehmenden Fokussierung auf das Papstamt in Folge der Gregorianischen Reform tendierte man im Westen dazu, jede Form des Ungehorsams gegen die päpstliche Autorität als Häresie zu betrachten“.
In den Diskussionen des Arbeitskreises St. Irenäus in Trebinje wurde daran erinnert, dass der griechisch-katholische Erzbischof Elias Zoghby von Baalbek im Libanon 1974 und 1995 die Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen der griechisch-orthodoxen und der griechisch-katholischen Kirche von Antiochien vorgeschlagen hatte. Zoghbys Initiative habe gezeigt, wie verflochten die lokale und die universale Ebene sind. Diese Verflechtung könne fruchtbar sein, wenn sie z.B. zur Rezeption von Konsensdokumenten zwischen den Kirchen führt. Jedoch könne sie auch die Dynamik der Annäherung behindern, insofern lokale Schritte vom Fortschritt des Dialogs auf der universalen Ebene abhängig gemacht werden. Das Beispiel der Konflikte zwischen Katholiken des griechischen und des lateinischen Ritus in Polen und der Westukraine im 20. Jahrhundert habe gezeigt, wie schwer Fragen der Geschichte, der Politik und der Identität die gegenseitigen Beziehungen innerhalb ein und derselben Kirche belasten können. Kirchengebäude, Zölibat, Sprache und die Bedeutung der Riten seien dort zu Streitobjekten geworden: „Nationale Zugehörigkeit und historische Erfahrungen spielten eine größere Rolle als das gemeinsam Christliche“.
Ausführlich wurde in Trebinje das seit dem Zusammenbruch des Kommunismus bestehende Schisma innerhalb der Orthodoxie in der Ukraine behandelt. Die vom Ökumenischen Patriarchat angebotene Lösung habe darin bestanden, eine autokephale orthodoxe Kirche in der Ukraine zu errichten, die vom Moskauer Patriarchat weiterhin als sein kanonisches Territorium betrachtet wird. Infolgedessen habe Moskau die eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel abgebrochen, während die übrigen lokalen orthodoxen Kirchen die Gemeinschaft mit Moskau und Konstantinopel aufrecht erhalten hätten. Zugleich hätten aber einige von ihnen beide Seiten des Konflikts wegen einseitiger Handlungen kritisiert, die die panorthodoxe Einheit infrage stellen. Ein Schisma innerhalb der Weltorthodoxie sei „glücklicherweise“ – zumindest bis jetzt – nicht eingetreten. Eine dauerhafte Lösung des Problems werde in gewissem Maße von Konsultationen und Dialog zwischen den Kirchen von Konstantinopel und Moskau abhängen, wird im Abschlusskommuniqué festgehalten. Ein solcher Dialog könne auch andere Kirchen einbeziehen und sollte nicht nur die gegenwärtigen Spannungen behandeln, sondern auch „grundlegende ekklesiologische Fragen wie das Wesen des Schismas und der Einheit der Orthodoxen“.
Vereinigungen und Trennungen funktionieren auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Graden. Daher möchten die im Arbeitskreis St. Irenäus versammelten katholischen und orthodoxen Theologen eine Arbeitsdefinition und Beschreibung der Grade von Vereinigung und Trennung erarbeiten. Konkrete Vorschläge sollen erstellt werden, wie gegenseitige Anerkennung schrittweise bekräftigt werden könnte. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei nicht nur den verschiedenen Faktoren (theologischen, historischen, politischen, etc.) gelten, die zur Entstehung von Schismen beigetragen haben, sondern auch und vor allem den verschiedenen Wirkmechanismen (besonders soziologische, psychologische und die Imagination betreffende), die das Schisma konkret machen und verstärken, aber auch helfen können, es zu überwinden. Die Theologen beabsichtigen, die praktischen Dimensionen und Voraussetzungen für eine gegenseitige „Heilung der Erinnerungen“ weiter zu erwägen: „Insbesondere schlagen wir vor, die Trennung zwischen Katholiken und Orthodoxen kreativ neu zu durchdenken. Dies wird eine gründliche Untersuchung des gegenwärtigen Stands der gegenseitigen Anerkennung des anderen als Kirche in der Praxis (Sakramente, Heilige, etc.) mit sich bringen“.
Zu Beginn der Tagung wurden die Mitglieder des Arbeitskreises am 9. Oktober vom orthodoxen Bischof von Zahumlje und der Herzegowina, Dimitrije (Rađenović), herzlich begrüßt. Tags darauf besuchten die Theologen das orthodoxe Kloster Tvrdo. Während des Treffens nahmen die Theologen an den Morgengebeten beider Traditionen teil. Am Samstag, 12. Oktober, besuchte die Gruppe Dubrovnik, wo sie an der Heiligen Messe in der katholischen Kathedrale teilnahm und vom Bischof von Dubrovnik, Mate Uzinić, empfangen wurde. Bischof Uzinić erinnerte in seiner Predigt daran, dass die Theologen in ihrem Wunsch, zur Einheit von katholischer und orthodoxer Kirche beizutragen, „zumindest symbolisch“ die beiden getrennten Städte Dubrovnik und Trebinje und damit auch die beiden noch immer getrennten Kirchen verbinden. Beide Kirchen verkündeten das Evangelium Jesu Christi, der „einzig und unteilbar“ ist, man könne zu Recht sagen, dass „unsere Trennungen nichts anderes als ein Verrat an ihm sind“. Niemand sei ohne Schuld an den nach wie vor bestehenden Trennungen der Kirchen. Wörtlich sagte der Bischof von Dubrovnik: „Wir müssen unsere eigene Sündhaftigkeit erkennen statt der der anderen und wir müssen die Rechtschaffenheit anderer Leute sehen statt der unseren“. Uzinić zitierte die Erklärung der kroatischen Bischöfe zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs: „Die Hauptfrage ist nicht, wie wir der Opfer unserer eigenen Gemeinschaft gedenken und wie wir die Schuld der anderen Gemeinschaft erkennen sollen. Vielmehr geht es um die schwierigere moralische Frage, wie wir der Opfer der anderen Gemeinschaft gedenken und die Schuld in unserer eigenen Gemeinschaft erkennen können“. Leider bleibe es oft bei Worten, deshalb gebe es auf dem Weg zur Einheit wenig Fortschritt. Ohne dieses Bemühen, auch die Opfer der „anderen“ und die Schuld der „eigenen“ zu sehen, werde es keine Einheit zwischen den beiden Kirchen und zwischen den Christen geben. Es gehe darum, die anderen so zu sehen, wie sie sich selbst sehen, unterstrich der Bischof von Dubrovnik. Das habe auch Papst Johannes Paul II. gemeint, als er dazu aufrief, den Standpunkt der „anderen“ zu verstehen.
Bischof Uzinić rief zugleich zur Geduld auf. Die Einheit der Kirchen komme nicht sofort. Aber Ereignisse wie das Treffen des Arbeitskreises St. Irenäus – und auch all das, was die Bischöfe und Gemeinden der beiden Nachbardiözesen Zahumlje (orthodox) und Dubrovnik (katholisch) in den letzten Jahren durch Dialog und Gebet getan hätten – sei „ein Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind“.
Am Sonntag, 13. Oktober, nahmen die Theologen in der orthodoxen Kathedrale von Trebinje an der Göttlichen Lituirgie teil, der Bischof Grigorije (Durić) von Düsseldorf und ganz Deutschland vorstand. „Pro Oriente“-Vizepräsident Prof. i.R. Rudolf Prokschi würdigte die familiäre und freundliche Atmosphäre bei der Göttlichen Liturgie in Trebinje, bei der insgesamt vier orthodoxe Bischöfe präsent waren. Besonders beeindruckt habe die Theologen auch die musikalische Gestaltung der Liturgie durch einen Mädchenchor. Im Anschluss an die Liturgie wurden die Theologen von Bischof Dimitrije empfangen.
Mit dem Thema Einheit und Schisma hat der Arbeitskreis St. Irenäus nach der Veröffentlichung der ersten gemeinsamen Studie („Im Dienst an der Gemeinschaft“) im Vorjahr bei der diesjährigen Tagung in der Herzegowina den ersten Schritt einer neuen Arbeitsphase gesetzt. Die nächste Tagung des Arbeitskreises wird im Oktober 2020 in Rom stattfinden.
Zu Beginn der neuen Arbeitsphase haben die beiden Ko-Sekretäre des St. Irenäus-Kreises ihren Rücktritt angeboten. Die Mitglieder wählten Assaad Elias Kattan (Münster) zum neuen orthodoxen Ko-Sekretär und Johannes Oeldemann (Paderborn) erneut zum katholischen Ko-Sekretär. Sie dankten Nikolaos Loudovikos für seine fünfzehnjährige Tätigkeit als orthodoxer Ko-Sekretär. Dem Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreis St. Irenäus gehören 26 Theologen an, 13 Orthodoxe und 13 Katholiken aus mehreren europäischen Ländern, dem Nahen Osten sowie Nord- und Südamerika. Aus Österreich sind Prof. Pablo Argarate (Graz), Prof. Basilius J. Groen (Graz) und Prof. Rudolf Prokschi (Wien) Mitglieder des Arbeitskreises. (Quelle: Katholische Presseagentur Kathpress, www.kathpress.at)