Bosnien-Herzegowina: Erzbischof von Sarajevo beklagt Ungerechtigkeiten des Dayton-Abkommens
Anlässlich des 30. Jahrestag des Friedensabkommens von Dayton hat der katholische Erzbischof von Sarajevo, Tomo Vukšić, an dessen erfolgreiche Beendigung von Krieg und Gewalt in Bosnien-Herzegowina erinnert. Gleichzeitig betonte der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Bosnien-Herzegowina, dass die Umsetzung des Abkommens zu „offenkundiger Ungerechtigkeit“ geführt habe. Insbesondere hob er hervor, dass versucht werde, die Kroaten schrittweise von einem konstitutiven Volk des Landes in eine nationale Minderheit zu verwandeln.
Bei seiner Eröffnungsansprache zur 94. Sitzung der Bischofskonferenz am 3. November kritisierte Erzbischof Vukšić, dass das Dayton-Abkommen das Entstehen von Strukturen ermöglicht habe, die oftmals den geschichtlichen, gegenwärtigen und zukünftigen Interessen des Landes und seiner Völker entgegengesetzt seien. Eine der gravierendsten Folges des Krieges und der Nachkriegsteilung sei der drastische Rückgang der Zahl der Katholiken im Land: Während 1991 noch 760'000 Katholiken in Bosnien-Herzegowina gelebt hätten, seien es gegenwärtig nur noch ca. 320'000 – was einen Rückgang von 58 Prozent darstelle, so Erzbischof Vukšić. Besonders schwierig sei die Situation in der Republika Srpska, einem der beiden Landesteile, aus denen der Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina heute besteht. Dort machten die Katholiken nur noch 2,4 Prozent der Bevölkerung aus, während in der Föderation Bosnien-Herzegowina, dem anderen Landesteil, um 22 Prozent Katholiken lebten. Für den steten Rückgang machte Vukšić vor allem die Kriegszerstörungen, die wirtschaftliche Unsicherheit, Hindernisse bei der Rückkehr von Kriegsflüchtlingen und politisches Ausschließen verantwortlich.
Erzbischof Vukšić sparte auch nicht mit Kritik an der Rolle internationaler Kräfte, die häufig „als Vertreter eines ausländischen Protektorats“ agierten, während einheimische Politiker unter der Maske der Verteidigung nationaler Interessen die Ungleichheit vertieften. Der Erzbischof betonte, dass die Kirche sich immer gegen Ungerechtigkeiten positioniert habe und dies auch weiterhin tun werde, sie erhebe ihre Stimme dabei nicht nur für die Rechte der Kroaten, sondern für die Würde jedes einzelnen Menschen und Volkes in Bosnien-Herzegowina. Auf die Rückfrage von Journalisten, ob der von der Bischofskonferenz 2005 vorgelegte Vorschlag zu einer Regionalisierung des Landes immer noch aktuell sei, oder ob es von den Bischöfen andere Reformvorschläge gebe, entgegnete Erzbischof Vukšić, dass es nicht Aufgabe der Kirche und kirchlicher Personen sei, staatliche Fragen zu lösen. „Die Sendung der Kirche und kirchlicher Personen ist das Darlegen gesunder Prinzipien und Regeln“, so der Erzbischof.
Das im November 1995 auf der Air Force Base Dayton in Ohio verhandelte Friedensabkommen beendete nach dreieinhalb Jahren den Krieg in Bosnien-Herzegowina. Bei der Beendigung der Gewalt war das Abkommen erfolgreich, doch hat sich die in Dayton festgeschriebene politische Nachkriegsordnung als ungeeignet zur Staatsbildung erwiesen. In den letzten 30 Jahren gab es immer wieder Reformvorschläge zu der im Dayton-Abkommen verankerten Verfassung von Bosnien-Herzegowina und zur Entflechtung des verschachtelten Staatsaufbaus, doch scheiterten diese allesamt. (NÖK)