Serbien: Vereinzelt kirchliche Unterstützung für Studierendenproteste
Mit Bischof Grigorije (Durić) von Düsseldorf und ganz Deutschland hat sich ein Hierarch der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) klar auf die Seite der protestierenden Studierenden gestellt. In einem längeren Text in der Wochenzeitung Radar würdigte er die Studierenden und verwies auf das Versagen der älteren Generationen und ihre Verantwortung für die aktuellen Zustände in Serbien. Mit Blick auf das, was die Studierenden sagten und täten, habe er begonnen, tief daran zu glauben, „dass vor uns endlich eine Generation junger Menschen steht, die imstand ist, die Dinge beim rechten Namen zu nennen und mit Wort und Tat direkt ins Zentrum der Probleme zu treffen“, erklärte er. Es falle ihm schwer auszudrücken, wie sehr er „auf der Seite dieser Kinder“ stehe oder „ehrlicher, auf der Seite der Hoffnung, die sie in uns geweckt haben“. Denn sie verteidigten auch „unsere Ehre und Würde“. Mit Blick auf die Unterstützung für die Studierenden fand Grigorije es „grob und unehrenhaft“, ihnen alle Mühen im Namen des Volks zu überlassen, weil sie je länger, je mehr ihr Leben und ihre Studien riskierten. Ein Mensch zu sein, bedeute daher in Serbien heute, zumindest an der Seite „der Kinder“ zu stehen. Denn ihre Ziele seien „menschlich und im tiefsten Sinn des Wortes christlich“. Weiter glaube er zutiefst, dass der Moment gekommen sei, an dem den Studierenden nicht nur zugehört werden sollte, sondern das Volk endlich auf sie hören sollte.
Auslöser für die massiven Proteste in Serbien war der Einsturz eines Vordachs des Bahnhofs in Novi Sad am 1. November 2024, bei dem 15 Menschen umkamen. Die Protestierenden werfen dem Staat Korruption und Nachlässigkeit bei der Renovation des Bahnhofsgebäudes durch eine chinesische Firma vor. Bei den Kundgebungen mit Verkehrsblockaden und 15-minütigem Schweigen zum Gedenken an die Opfer kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf die Protestierenden. Daraufhin verstärkten sich die Proteste noch und die Studierenden blockierten ihre Fakultäten. Inzwischen haben sich den Protesten auch Professoren, Oppositionelle, Kunstschaffende und Bauern angeschlossen, im ganzen Land gehen Zehntausende auf die Straßen. Im Dezember publizierte zudem Amnesty International einen Bericht, wonach die Regierung auf den Mobiltelefonen von Aktivistinnen und Journalisten eine Spionagesoftware installiert hat. Die Demonstrierenden fordern den Rücktritt des serbischen Innenministers und des Bürgermeisters von Novi Sad sowie ein Ende der Korruption und funktionierende Institutionen.
Der serbische Patriarch Porfirije ging am 22. Dezember an einem Gottesdienst auf die Proteste ein. Die Gläubigen beteten natürlich für die Opfer der Tragödie in Novi Sad und für deren Nächste. Als Menschen erwarteten die Gläubigen selbstverständlich, dass sich alle am Unglück Schuldigen vor Gericht verantworten müssen. Zugleich verfolge die Kirche mit „tiefer Besorgnis“ die Ereignisse und befürchte, dass sich die „täglichen Zwischenfälle“ ausbreiten und viele Opfer fordern könnten. Die wachsenden Spaltungen „bedrohen objektiv die Würde und Freiheit der menschlichen Person sowie die Einheit unseres Volks“, sagte Porfirije weiter. Dieses wisse durch seine Geschichte, dass die Kirche immer „verlässlich und unverrückbar“ an seiner Seite stehe, an der Seite des „ganzen Volks“. Die Kirche sorge sich um das ganze Volk, deshalb könne sie sich nie nur mit einem Teil identifizieren. Sie mache keine Unterschiede, schließe nie jemanden aus und verstehe die Bedürfnisse aller.
In einem Interview erklärte Bischof Ilarion (Lupulović) von Novo Brdo, dass die Rolle der Kirche nicht das Urteilen, sondern das Heilen der Beziehungen in der Gesellschaft sei. Mit Blick auf kritische Stimmen zu den Aussagen des Patriarchen sagte er, dieser habe die grundlegende Forderung der Studierenden, falls sie in der Suche nach den Verantwortlichen für den Tod der 15 Personen in Novi Sad bestehe, bekräftigt. Die „alltägliche Vorsicht“, um „etwas Unangemessenes“ zu verhindern, hindere Kirchenvertreter daran, sich in Bereichen einzumischen, für die sie kein Mandat hätten. Deshalb gäben sie keine „pompösen Verkündigungen“ ab, die im Wesentlichen keine Verbesserung brächten, aber zur Vertiefung der Spaltungen und einer zusätzlichen Destabilisierung in der Gesellschaft oder einem „sogar noch tragischeren Ausgang“ beitragen könnten. Allerdings seien von den Hierarchen unterschiedliche Meinungen zu verschiedenen aktuellen Fragen zu hören, räumte Ilarion ein. Das müsse aber kein Problem sein, solange nicht das Wesen der Kirche selbst berührt werde. In der Kirche werde seit jeher die „Tradition des konstruktiven, brüderlichen Dialogs gepflegt, mit dem unsere Einheit gefestigt wird“.
Die Studierenden der Theologischen Fakultät in Belgrad haben Mitte Dezember entschieden, sich dem Boykott des Unterrichts und der Blockade der Universität durch die anderen Studierenden anzuschließen. In einem Brief, den sie an der Vollversammlung aller Fakultäten der Universität Belgrad verlasen, verwiesen sie auch darauf, dass die Kirche nicht ein Mittel der Politik sein dürfe und keine Seiten wähle. Sie wiesen „Lügen und Verleumdungen einzelner Medien“, die einen „politisierten Angriff auf die Kirche“ darstellten, zurück. Zudem bestritten sie, dass ihnen im Fall einer Teilnahme an den Protesten der Ausschluss aus der Theologischen Fakultät angedroht worden sei. Obwohl sie das Gebet für die „stärkste Stimme“ hielten, wollten sie sich angesichts dieser Ereignisse öffentlich äußern und auf „die am friedlichsten mögliche Weise öffentlich unsere Kollegen unterstützen“, indem sie sich dem Unterrichtsboykott anschließen. (NÖK)