Griechenland: Erzbischof von Athen kritisiert EU-Flüchtlingspolitik
Das Aufnehmen von Fremden ist für Erzbischof Hieronymos (Liapis) von Athen ein „integraler Teil“ des christlichen und griechischen Erbes. Daher beobachte die Griechische Orthodoxe Kirche (GOK) die Entwicklungen in der Flüchtlingskrise mit „tiefer Sorge“. Seine Kirche stelle sich klar auf die Seite der Verwundbaren und werbe für einen Geist der Toleranz, so Hieronymos weiter. Inspiriert vom „Ethos der Gastfreundschaft“ unterstütze die GOK schon seit den 1990er Jahren Flüchtlinge und Migranten. Sie tue das mit ihren verschiedenen Organisationen wie dem Integrationszentrum für migrantische Arbeiter – ökumenisches Flüchtlingsprogramm, mehreren Zentren für unbegleitete Minderjährige sowie durch die Gemeinden, die direkte Hilfe leisteten.
In dem Interview mit dem Pressezentrum des Ökumenischen Rats der Kirchen kritisierte Erzbischof Hieronymos auch die EU wegen der „ungleichen Verteilung der Verantwortung zwischen den EU-Mitgliedstaaten“, die dem grundlegenden EU-Prinzip der Solidarität widerspreche. Dies habe dazu geführt, dass Griechenland und andere Grenzstaaten mit der Situation auf eine Art umgingen, die nicht mit den angeblichen europäischen Idealen der Menschenrechte übereinstimmten. Das Resultat der „repressiven Politik“ der EU sei, dass Tausende Schutzsuchende für lange Zeit in den überfüllten Hotspots der ägäischen Inseln eingesperrt seien, wo sie unter unwürdigen Bedingungen lebten. Die „Tragödie“ des Brandes in Moria sei nur eine Frage der Zeit gewesen.
Notwendig ist laut dem Athener Erzbischof nun die Schaffung von Synergien in Griechenland und Europa, um alle vorhandenen Mittel durch gezielte Programme zum Nutzen der Flüchtlinge einzusetzen. Dabei rief er NGOs auf, entsprechend der griechischen Gesetze und des europäischen Acquis zu handeln, um nicht „mehr Probleme zu schaffen, als sie zu lösen“. Die GOK konzentriere sich auf zwei Bereiche: die Unterbringung von Flüchtlingen und die Sensibilisierung der griechischen Bevölkerung, die bereits viel für Flüchtlinge tue. Zudem regte Hieronymos eine Diskussion über die Zukunft der Flüchtlinge an, da davon auszugehen sei, dass die Mehrheit derjenigen, die von den Inseln auf das griechische Festland gebracht werden, dauerhaft in Griechenland bleiben würden. Es sei „höchste Zeit“ ihre „gesellschaftliche Integration“ auf eine Weise zu fördern, die für sie und die Aufnahmegesellschaft vorteilhaft ist. Dabei sei es zentral, Beziehungen und Netzwerke zwischen Flüchtlingen und lokalen Gemeinschaften zu entwickeln und Flüchtlinge zu ermutigen, an kulturellen und sozialen Aktivitäten teilzunehmen.
Schon direkt nach dem verheerenden Brand des Flüchtlingslagers Moria hatte Hieronymos ein Statement veröffentlicht, in dem er die „unzulässige, unmoralische und unmenschliche Instrumentalisierung und Ausbeutung von verzweifelten Flüchtlingen und Immigranten“ durch die Türkei kritisierte. Es sei Zeit, dass die EU ihre „Verantwortung wahrnimmt und effektiv zur Bewahrung und zum Schutz ihrer östlichsten Grenzen beiträgt, immer mit Respekt für den Wert und die Würde jedes Menschen“. Zugleich sicherte er der dem griechischen Staat die tatkräftige Unterstützung der GOK zu.
Rund ein Dutzend globaler und regionaler religiöser Organisationen hat in einem Statement ebenfalls die Zustände der europäischen Migrationspolitik kritisiert. Solidarität sollte das „Leitprinzip“ bei der Aufnahme von Migranten und insbesondere Flüchtlingen sein, heißt es dort. Die Verfasser erwarten von der EU, den „Diskurs und die Politik von Angst und Abschreckung“ abzulehnen und eine „mitfühlende Praxis auf der Basis der Grundwerte der EU“ anzunehmen. Das Feuer in Moria habe wieder einmal den „fundamental kaputten Zustand der europäischen Migrations- und Asylpolitik“ und das daraus entstandene Leid gezeigt. Außerdem habe die Coronavirus-Pandemie die Situation von Migranten noch zusätzlich verschärft. Die Organisationen erwarten, dass die Werte der EU in Bezug auf Menschenwürde und Respekt vor Menschenrechten in ihrer täglichen Politik sichtbar sind.
Als christliche Organisationen sehen sich die Verfasser der menschlichen Würde sowie den „Konzepten des Allgemeinwohls, der globalen Solidarität und der Förderung einer Gesellschaft, die Fremde aufnimmt, sich um diejenigen kümmert, die vor Gefahr fliehen, und die Verwundbaren schützt, zutiefst verpflichtet“. Sie verpflichten sich dazu, sich für einen „würdigeren Zugang zu Aufnahme, Schutz und Sorge für Menschen in Bewegung“ einzusetzen. Die Erklärung wurde am 22. September veröffentlicht, einen Tag bevor die EU-Kommission ihren neuen Migrationspakt vorstellte. Unterzeichnet wurde das Statement unter anderem von der Konferenz Europäischer Kirchen, dem Lutherischen Weltbund, dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und dem Ökumenischen Rat der Kirchen. (NÖK)