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OWEP 3/2019: 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs

Angesicht aktueller Krisen und Konflikte in Europa muss man festhalten: Die Erinnerungen an die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in Mittel-, Ost- und Südosteuropa vor 30 Jahren verblassen allmählich. Für Deutschland bildet die Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 das Kerndatum, andere Länder haben ihre je eigenen Erinnerungsdaten und -orte. Was alle betroffenen Länder – auch die neuen deutschen Bundesländer – in je unterschiedlicher Gestaltung verbindet, war und ist die seitherige Entwicklung. Es legt sich nahe, bei allen Unterschieden auf das Gemeinsame der bewegten „Wendejahre“ zurückzublicken. Die aktuelle Ausgabe von OST-WEST. Europäische Perspektiven enthält dazu einen einführenden Essay und lässt danach Zeitzeigen und Nachgeborene zu Wort kommen.

Mit den Worten „Wahnsinn“ lässt sich, wie der Osteuropahistoriker Prof. Dr. Karl Schlögel zugespitzt formuliert, die Stimmung in den entscheidenden Tagen des Jahres 1989 kurz und bündig charakterisieren. Ein anderes vielzitiertes Diktum sprach vom „Ende der Geschichte“: In Europa, ja in der ganzen Welt sollten alle Gräben überwunden und so etwas wie der ewige Friede ausgebrochen sein. Mit wenigen scharfen Worten entlarvt der Autor diese Illusion, denn gerade in Europa brachen blutige Kriege aus (Musterfall: Jugoslawien), und wenige Jahre nach der Osterweiterung von NATO und EU ist Europa alles andere als ein Ort von Friede und Einigkeit. Angesichts dieses Befundes bleibt, so das ernüchternde Fazit, nur Mut zu Realismus und Gefühl für das Machbare, wenn die Zukunft des Kontinents einigermaßen gedeihlich verlaufen soll.

„Bilanz ohne Illusion“ ist der nachfolgende Hauptabschnitt des Heftes mit 22 Kurzbeiträgen überschrieben. Daran kommen Frauen und Männer aus der ehemaligen DDR, aus Estland, Lettland, Polen, Rumänien, Serbien, der Slowakei, Tschechien, der Ukraine und Ungarn zu Wort. Viele haben die Zeit vor und um die Ereignisse von 1989 bewusst erlebt, andere waren noch kleine Kinder oder überhaupt noch nicht geboren und können daher nur auf Erzählungen und Erfahrungen der vorherigen Generationen zurückgreifen. Die Auswahl der Autorinnen und Autoren ist mehr oder weniger zufällig im Blick auf Herkunft, Beruf und Religionszugehörigkeit; auch hätten Länder wie Bulgarien, Kroatien oder Weißrussland ebenso vertreten sein können. Die „Bilanz ohne Illusion“, deren Beiträge sich auch stilistisch stark voneinander unterscheiden, ist nicht repräsentativ, bietet aber doch ein Stimmungsbild, das sich so oder ähnlich die Empfindungen vieler Menschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa widerspiegelt. Stellvertretend mögen dafür einige Titel stehen: „Erfüllte Hoffnungen – aber noch nicht für die mittlere und ältere Generation“ (aus der ehemaligen DDR), „Wandern nach der Gefangenschaft“ (aus Ungarn), „30 Jahre zwischen Gewinn und Verlust“ (aus Polen), „Träume werden wahr“ (aus Lettland).

Bei so vielen Stimmen ist es nicht ganz einfach, das Verbindende herauszuarbeiten. Der Autor dieser Zeilen hat einige Schwerpunkte ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammengestellt: So haben die Umbrüche viel Neues und Gutes gebracht (Demokratisierung, Reisefreiheit, Pressefreiheit), aber auch Negatives, etwa einen ungezügelten Kapitalismus. Auch sind anstelle alter Trennlinien neue Mauern, Grenzen und Blockaden in den Köpfen und z. T. auch direkt erkennbar – man denke an die Nachfolgestaaten Jugoslawiens – entstanden. Vielfach ist Unsicherheit zu spüren, ja Angst vor der Zukunft, was zur Rückwärtsbewegung in mehrfacher Hinsicht geführt hast. Dennoch überwiegt insgesamt das Positive, der Gewinn, und nicht das Negative, der Verlust. Wiederholt wird das wunderbare Eingreifen Gottes genannt, das den „Traum von 1989“ erst möglich gemacht hat.

Abgeschlossen wird das Heft durch ein Interview mit Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (1976-1998) und von Thüringen (1992-2003) der als hochrangiges Mitglied der CDU die Ereignisse von 1989 in Deutschland miterlebt und die Schritte auf dem Weg zur deutschen Einheit zum Teil mitgestaltet hat. In seinen Darlegungen lässt er die bewegten Monate zwischen Sommer 1989 und Herbst 1990 Revue passieren und erinnert daran, dass der seither beschrittene Weg der europäischen Integration ein hohes Gut ist, das nicht leichtfertig verspielt werden darf.

Ein Ausblick auf Heft 4/2019, das im kommenden November erscheinen wird: Es ist dem Thema „Die Ukraine fünf Jahre nach dem Majdan“ gewidmet. Neben Beiträgen zur politischen und kirchlichen Situation enthält das Heft eine längere Reportage und mehrere Interviews, die im August dieses Jahres entstanden sind.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis und ein Beitrag im Volltext finden sich unter www.owep.de. Das Heft kann für € 6,50 (zzgl. Versandkosten) unter www.owep.de bestellt werden.