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OWEP 2/2020: Friede – Unfriede – Krieg

75 Jahre liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs zurück, der mehr als 60 Millionen Menschenleben forderte. „Nie wieder“, so war die Einstellung wohl der meisten Menschen 1945, die Gründung der Vereinten Nationen noch im gleichen Jahr sollte ein Zeichen für den Friedenswillen auf der ganzen Erde sein. Wie die seitherige Geschichte gezeigt hat, kam es ganz anders: Kriege, ob erklärt oder unerklärt, und bewaffnete Konflikte haben inzwischen weit mehr Opfer gefordert als der Zweite Weltkrieg – und selbst Europa, das 1945 in weiten Teilen in Trümmern lag, ist wieder zum Kriegsschauplatz geworden.

Angesichts dieses ernüchternden Befundes stellt sich die Frage nach den tieferen Ursachen für Krieg oder, noch weiter gefasst, für Gewalt zwischen den Menschen, aus der Konflikte innerhalb von Gesellschaften und Kriege entstehen, die letztlich nur zu Elend, Leid und Zerstörung führen. Obwohl das Gegenteil von Krieg, der Frieden, von den Menschen ersehnt und gewünscht wird, scheint die Entwicklung der Zivilisation vom Gegenteil dominiert zu werden: statt Friede eher Unfriede, Konflikt, „kalter“ Krieg – „heißer“ Krieg. Wenn die Redaktion der Zeitschrift OST-WEST. Europäische Perspektiven ein Themenheft unter dem Titel „Friede – Unfriede – Krieg“ gestaltet, kann dies nur als ein Versuch verstanden werden, einige Aspekte dieses sehr schwierigen, buchstäblich „verminten“ Terrains zu erfassen. Unbeantwortet bleiben muss die Frage, ob es im Menschen so etwas wie eine Veranlagung zur Gewalt gibt, womit sich sogleich die Frage nach der Verantwortung stellt bzw. danach, ob Erziehung und Kultur den Menschen zu einem friedlicheren Wesen formen können – die historische Erfahrung scheint eher dagegen zu sprechen.

Grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen Frieden und Krieg stehen im Mittelpunkt des Eröffnungsbeitrags des an der Universität Freiburg lehrenden Moraltheologen Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff. Er stellt den Begriff und die Notwendigkeit von „Frieden“ in den breiteren theologischen Kontext des hebräischen „Schalom“ (im Sinne von „Heil“) und stellt im Anschluss daran das von der modernen Friedensforschung entwickelte Vier-Säulen-Modell des Friedensaufbaus vor, dessen praktische Umsetzung immer wieder unter Rückschlägen leidet.

In den beiden folgenden Texten geht es um Länder, die nicht von einem kriegerischen Konflikt betroffen sind, sondern mit gesellschaftlichen Spannungen und Brüchen bzw. deren Folgen zu kämpfen haben. Die in Prag lebende Journalistin Bára Procházková beschreibt das Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken, die sich 1993 staatlich voneinander getrennt haben. Ursache dafür war eine wachsende Entfremdung, die, auch wenn die Staaten Tschechien und Slowakei heute beide Mitglieder der Europäischen Union sind und in vielen Bereichen zusammenarbeiten, die Menschen immer weiter voneinander trennt, sodass man sich trotz Verwandtschaft der Sprachen oft nicht mehr „versteht“. Der in Wien lebende deutsch-ungarische Journalist Stephan Ozsváth gibt die gesellschaftliche Stimmung in Ungarn wieder: In diesem Land wird die Erinnerung an die vergangene Größe des Landes instrumentalisiert und das „Trauma des Vertrags von Trianon“ heraufbeschworen, was einerseits zu Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft führt, andererseits auch die Gefahr von Konflikten mit den Nachbarstaaten – besonders mit Rumänien – birgt.

Der Zerfall Jugoslawiens und die anschließenden Bürgerkriege, die gerade einmal ein Vierteljahrhundert zurück liegen, wirken bis heute nach, denn die gesamte Region leidet bis heute unter den Folgen von Gewalt, Flucht und Vertreibung. Besonders prekär ist, wie aus dem Beitrag von Weihbischof em. Dr. Pero Sudar aus Sarajevo hervorgeht, die Lage in Bosnien und Herzegowina, wo der Vertrag von Dayton ein Staatsgebilde konstruiert hat, das die Entwicklung des Landes sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich hemmt und die Menschen in großer Zahl zur Emigration zwingt. Dieser „Fall“ ist ein klassisches Beispiel dafür, dass ein „verordneter Friede“, der die Bedürfnisse der Menschen nicht wirklich in den Blick nimmt, den Keim für neuen Unfrieden legt.

Polen ähnelt in mancher Hinsicht Ungarn: Auch hier ist die Gesellschaft tief gespalten, wobei es in Polen eher um die grundsätzliche Frage der Ausrichtung zwischen „nationalkonservativ“ und „liberal“ geht, weniger um außenpolitische Konflikte. Die Analyse des an der Universität Regensburg lehrenden Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Jerzy Macków zeigt, dass die Konfliktlinien eher unübersichtlich sind: Wenn eine der beiden Seiten der anderen Versagen und Misswirtschaft vorwirft, finden sich auch auf der Gegenseite Beispiele. Wohin das Land steuern wird, ist daher völlig offen.

Im folgenden Beitrag des Politikwissenschaftlers Dr. Kai-Olaf Lang, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, geht es um das Verhältnis der drei baltischen Staaten zum „großen Bruder“ Russland. Neben den verwickelten historischen Beziehungen wirkt sich besonders der Status der russischen Minderheiten in Estland und Lettland auf die wechselseitigen Beziehungen aus, was ein gewisses Konfliktpotenzial beinhaltet. Ganz anders stellt sich die Lage zwischen Deutschland und Frankreich dar: Die in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin tätige Politikwissenschaftlerin Dr. Claire Demesmay beschreibt die Etappen der Annäherung beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg anhand der Begegnung führender Politiker. Ihr Ergebnis: Anstelle der „Erbfeindschaft“ ist eine Routine der Normalität zwischen Deutschland und Frankreich getreten.

Internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der NATO kommt eine wichtige Rolle bei der Friedenssicherung und auch bei der Lösung von bewaffneten Konflikten zu. Ihre Möglichkeiten sind allerdings begrenzt, häufig scheitern sogar Einsätze. Die an der Universität Halle-Wittenberg tätigen Politikwissenschaftlerinnen Sopio Koiava und Dr. Jana Windwehr befassen sich in ihrem Beitrag mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Entstehung und Entwicklung sowie deren Einsatz im Südkaukasus sie nachzeichnen.

Abgerundet wird das Heft durch zwei Beiträge unter der Rubrik „Kontroverse“. Der in Kiew lebende Journalist Denis Trubetskoy und die in Berlin lebende Journalistin Gemma Pörzgen beleuchten kurz die neuesten Entwicklungen im ukrainisch-russischen Konflikt um die Donbass-Region, wobei zum einen die ukrainische, zum anderen die russische Position im Mittelpunkt steht.

Ein kurzer Ausblick auf Heft 3/2020, das Mitte August erscheinen wird: Unter dem Titel „Nationalhelden – Mythos und Missbrauch“ wird es darum gehen, bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte und Gegenwart, die für ihre Nationen zu „Helden“ geworden sind, vorzustellen und einzuordnen. Das Heft wird u. a. Stepan Bandera, Alexander Newski und Jeanne d’Arc, aber auch Mutter Teresa und Greta Thunberg Beiträge widmen.   

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis und ein Beitrag im Volltext finden sich unter www.owep.de. Das Heft kann für € 6,50 (zzgl. Versandkosten) unter www.owep.de bestellt werden.