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Akademische Freiheit in Gefahr

10. September 2020

Mit der Sanktionierung von Dr. Vukašin Milićević, einem Priester und Assistenzprofessor an der Orthodoxen Theologischen Fakultät der Universität Belgrad, durch den serbischen Patriarch Irinej im März 2020 ist klar geworden, dass die Einmischungen des höheren Klerus der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) in Fragen öffentlicher Äußerungen in letzter Zeit schrittweise zu einer Monopolisierung der Meinungsfreiheit ihrer Geistlichkeit in Bezug auf fast alle relevanten Themen, darunter auch die Wissenschaft, geführt haben. Der Patriarch bemerkte, dass Prof. Milićević – mit seinem unangekündigten Auftritt in der Fernsehsendung Utisak nedelje – ihm persönlich ungehorsam gewesen sei, das Statut der SOK missachtet und die Entscheidungen des Hl. Synods, die für alle Geistlichen bindend sind, kompromittiert habe.

Dr. Milićević gehört zu einer Gruppe jüngerer orthodoxer Theologen, die offen über die Probleme innerhalb der SOK und der Fakultät sprechen. Er ist Mitunterzeichner eines öffentlichen Statements, in dem als Reaktion auf eine Petition serbischer Kreationisten geltend gemacht wurde, dass es keine plausiblen alternativen wissenschaftlichen Theorien gibt, die die Evolutionstheorie ersetzen könnten. Das schließt die biblische Schöpfungslehre ein, die die Theologen nicht für eine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie halten. Das Statement wurde in der SOK offen kritisiert. Einige der unterzeichnenden Theologen wurden eingeladen, ihre Ansichten vor dem Hl. Synod an seiner Sitzung im Mai 2017 zu erklären. Bald darauf wurden mehreren Priester-Professoren der Fakultät ihre hauptsächlichen Gemeindeaufgaben entzogen und sie durften bei Liturgien nur noch assistieren. Aufgrund einer sofortigen Entscheidung des Patriarchen wurden sie aus allen Redaktionen von kirchlichen elektronischen und gedruckten Medien entlassen. All das war von der Warnung begleitet, dass Verstöße gegen diese Vorschrift mit einem kirchlichen Disziplinarverfahren sanktioniert würden.

Schlag gegen die Orthodoxe Theologische Fakultät
Es scheint, als sei dies nur ein Vorbote strengerer Maßnahmen gegen die rebellischen orthodoxen Theologen gewesen. An der jüngsten Sitzung des Hl. Synods am 26. August 2020 forderte Bischof Irinej (Bulović) von Bačka vom Hl. Synod, drei Professoren der Fakultät den Segen zu entziehen: Rodoljub Kubat, Dragomir Sando und Vukašin Milićević. Der Hl. Synod spielt noch immer eine entscheidende Rolle bei Fakultätsstellen, und Bischof Irinej wollte die drei Professoren bestrafen, aber ein anderes Mitglied des Hl. Synods, Metropolit Hrizostom (Jević) von Dabar-Bosna, legte sein Veto ein. Prof. Kubat kommentierte die Handlungen des Hl. Synods gegenüber serbischen Medien so: „Niemand hat uns eingeladen zu sprechen, und das ist etwas Grundsätzliches. Ich frage mich, ob das eine Vergeltungsmaßnahme für meine Äußerung gegenüber dem Portal nova.rs ist, als ich die Legitimität von Bischof Irinejs Position an unserer Fakultät infrage stellte. Oder kommt es vielleicht daher, weil wir eine Petition beim Ethikrat der Universität Belgrad eingereicht haben, in der wir um eine Untersuchung des Wahlprozederes für unseren Fakultätsrat gebeten haben. Warum mussten wir all das aus den Medien erfahren? Als Professoren konnten wir zumindest erwarten, angemessen informiert zu werden. Vor 600 Jahren wurde Jan Hus angeklagt, aber er ging an seinen Prozess und vertrat seine Position. Wir sind verurteilt worden, ohne dass man uns eine Frage gestellt hätte.“

Dr. Milićević durfte sich in dieser Angelegenheit nicht äußern, weil er wegen seiner früheren öffentlichen Auftritte noch immer auf Bewährung ist. Prof. Sando soll vermutlich wegen seiner Aussagen bezüglich Metropolit Porfirije (Perić) von Zagreb-Ljubljana und Prof. Vladimir Vukašinović, Vize-Dekan der Fakultät, sanktioniert werden: Sando hatte die Fakultätsstellen über die Vorwürfe von Studentinnen informiert, dass Vukašinović sie sexuell belästigt haben soll. Einer der Fälle wurde schon von der Ethikkommission der Fakultät bearbeitet und wird in den serbischen Medien debattiert. Seltsamerweise hat der Patriarch keinerlei Bereitschaft gezeigt, mit dem Vater eines der Opfer zu sprechen, der ihn in diesem Fall um Hilfe gebeten hatte.

Zudem strengten Sando und Kubat gemeinsam einen Prozess gegen ihren Dekan aufgrund eines Verstoßes gegen das Hochschulgesetz bei der Wahl des Fakultätsrats an. Besonders schmerzhaft und ungerecht war dabei für Prof. Kubat, dass sich ihm einige Mitglieder des Biblischen Instituts, dem er vorsteht, entgegenstellten. Das Institut verdankt seinen internationalen Ruf und seine beträchtlichen akademischen Errungenschaften mehrheitlich Kubats Forschung auf dem Feld der biblischen Studien. Einige hochrangige geistliche Mitglieder des Instituts haben sogar vom Hl. Synod verlangt, Kubats Position an der Fakultät zu überdenken, während keiner seiner langjährigen Kollegen und früheren Freunde am Institut es angebracht fand, ihn zu unterstützen.

Eine neue Generation orthodoxer Theologen
Die Einmischung des Hl. Synods in die Autonomie der Fakultät und die Verletzung der rechtlichen Normen der Universität Belgrad muss im Kontext einer illegitimen und unkontrollierten Demonstration kirchlicher und politischer Macht gesehen werden, die sich dieses Mal gegen Theologieprofessoren richtet, die ihr Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Meinungsäußerungsfreiheit ausüben. Das stört einige der Prälaten der SOK im Hl. Synod. Bereits 2019 hatte der Satzungsrat der Universität auf die Verletzung einer Reihe von statuarischen und rechtlichen Normen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Hl. Synod und der Orthodoxen Theologischen Fakultät hingewiesen. Doch der Hl. Synod ignorierte die Warnung des Rektorats der Universität hinsichtlich des illegalen Funktionierens des Fakultätsrats völlig. Verschlimmert wurde das Ganze noch dadurch, dass die die serbische Regierung dem Hl. Synod dabei half, acht Mitglieder des (illegitimen) Fakultätsrats zu ernennen, darunter Bischof Irinej – ein Mitglied des Hl. Synods, der so auch als Vertreter des Staats auftritt! Es ist offensichtlich, dass die Kirche und die Regierung bei der Verletzung der Verfassung Serbiens (Art. 11, der die Trennung von Staat und Kirche vorschreibt) und seiner Gesetze, darunter das Statut von Serbiens ältester und renommiertester Universität, eng zusammenarbeiteten.

Bis vor kurzem war die SOK nicht allzu sehr in die akademischen Angelegenheiten der Theologischen Fakultät involviert, so dass eine Art Modus Vivendi bei diesem zerbrechlichen institutionellen Zusammenleben entstanden war. Laut dem Gesetz über Kirchen und Religionsgemeinschaften von 2006 haben religiöse Organisationen das Recht, ihre Aktivitäten unabhängig zu organisieren und autonom in ihren inneren und öffentlichen Angelegenheiten zu sein (Art. 6), aber „religiöse Bildungsinstitutionen, die ins Bildungswesen integriert sind, sind „verpflichtet, die Bedingungen und Standards des Bildungswesens entsprechend der Bildungsbestimmungen zu respektieren“ (Art. 37). Was die Universität von Belgrad betrifft, ist es ihre Aufgabe, die Autonomie ihrer 31 Fakultäten zu schützen, darunter auch akademische Freiheiten und verfassungsmäßige Rechte ihrer Professoren. Die Universität ist somit verpflichtet, ein rechtmäßiges Wirken ihrer Fakultäten, darunter die Orthodoxe Theologische Fakultät, vollständig zu gewährleisten.

Mit Blick auf die vorherrschenden „Strömungen“ und Fraktionen innerhalb der SOK lassen sich diese heute mehrheitlich in zwei Abteilungen unterteilen: diejenigen, die das Regime von Präsident Aleksandar Vučić unterstützen, und diejenigen, die es ablehnen. Es scheint, als würden nicht theologische Ideen und Programme die Krise an der Fakultät hervorrufen. Es geht vor allem um persönliche Konflikte und Interessen, während zugleich eine Minderheit der Prälaten große Unterstützung durch die politischen Machthaber genießt. Diese persönlichen Feindschaften sind so unvernünftig geworden, dass beispielsweise ein orthodoxer Bischof aus persönlichen Gründen eine Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen verhindert.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat Serbien die Entstehung eines kleinen liberalen Flügels innerhalb der SOK erlebt. Von Zeit zu Zeit konnten diese liberalen Tendenzen in öffentlichen Ansprachen und Medieninterviews, eher als bei offiziellen Kirchenversammlungen und in kirchlichen Organen, entdeckt werden. Neben ihrer moderaten proeuropäischen Haltung unterstützt diese liberale Strömung die Modernisierung und schrittweise Revitalisierung der Kirche, darunter auch einen unabhängigeren (auf die Universität, nicht die Kirche orientierten) Status der Theologischen Fakultät. Bei diesen „rebellischen“ Theologen sprechen wir von einer mehrheitlich jüngeren Generation serbischer orthodoxer Theologieprofessoren, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren geboren wurden. Intellektuell wurden sie in der demokratischen Nach-Milošević-Zeit erwachsen, und das könnte ihre politische und soziale Erziehung beeinflusst haben. Sie sind vorwiegend Millenials, die an modernen Schulen oder nach 2000 an der Universität Belgrad ausgebildet wurden. Darwin ist Teil ihrer säkularen Ausbildung, wie Nikolaj Velimirović und Justin Popović Kapitel in ihren theologischen Lehrplänen und Büchern sind. Einige von ihnen waren in alternativen Bildungsprojekten aktiv (wie regionale Friedens- und Versöhnungsprogramme verschiedener NGOs) und sind mit ihrer internationalen Erfahrung in der Regel dem ökumenischen Dialog und modernster Theologie zugeneigt. Mit der ausgesprochenen oder zumindest stillschweigenden Unterstützung von Bischöfen, die mehrheitlich in der westlichen Diaspora dienen (z.B. Bischof Grigorije (Durić) von Deutschland und Bischof Maksim (Vasiljević) von Westamerika), haben sie alle nötigen Voraussetzungen, um ihre reformerischen Ansichten sowohl in theologischen als auch kirchlichen Fragen zu entwickeln. In den kommenden Jahrzehnten wird sich zeigen, wie tiefgreifend sie an der lange erwarteten und dringend notwendigen Verjüngung der SOK einbringen werden.

Milan Vukomanović, Professor für Religionssoziologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad.

Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.