Zum Hauptinhalt springen

In memoriam Metropolit Amfilohije (Radović) von Montenegro

12. November 2020

„Mein Herz ist bereit, sagt der Prophet. Mein Herz ist bereit, dass ich gemeinsam mit Euch Eure Seele erneuere.“ – Mit diesem Versprechen wandte sich Metropolit Amfilohije (Radović) von Montenegro und den Küstenländern nach seiner Inthronisation als Metropolit am 30. Dezember 1990 an die Gläubigen. Und in der Tat hat er Wort gehalten: Der am 30. Oktober 2020 an den Folgen einer Coronavirus-Infektion verstorbene Metropolit hat das kirchliche Leben in Montenegro von Grund auf erneuert und war eine der prägendsten Gestalten und einer der profiliertesten Theologen der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) in den letzten drei Jahrzehnten. Mit seinen politischen Einstellungen polarisierte er jedoch häufig.

Akademische Laufbahn
Geboren wurde er als fünftes von 15 Kindern zu Weihnachten am 7. Januar 1938 im Weiler Bara Radovića im Morača-Tal in Zentralmontenegro. Seine Eltern gaben ihm deswegen den Namen Risto (von Christos). Prägend für seinen weiteren Lebensweg war die Nähe seines Geburtsorts zum Kloster Morača, einer Gründung der serbischen Herrscherdynastie der Nemanjiden, wo er getauft wurde und auch zur Schule ging. In Belgrad studierte er Theologie und klassische Philologie. Nach seinem Abschluss an der Orthodoxen Theologischen Fakultät 1962 absolvierte er weitere Studien am Institut de Théologie Orthodoxe Saint-Serge in Paris, an der Christkatholischen-theologischen Fakultät der Universität Bern und am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom. Anschließend ging er nach Griechenland, wo er sieben Jahre lebte, die Mönchsgelübde ablegte und den Mönchsnamen Amfilohije annahm. 1973 erwarb er mit einer Arbeit über Gregorios Palamas in Athen den Doktortitel in Theologie. Nach einer kurzzeitigen Professur am Institut Saint-Serge kehrte Amfilohije 1976 nach Belgrad zurück und war zunächst als Dozent und dann als Professor an der Theologischen Fakultät tätig. Aufgrund seiner zahlreichen Auslandsaufenthalte sprach er Griechisch, Italienisch, Russisch, Deutsch und Französisch; zudem verwendete er altgriechische, lateinische und kirchenslawische Quellen in seinen wissenschaftlichen Arbeiten.

Wegweisend für Amfilohijes theologische Entwicklung wurde vor allem seine Begegnung mit Justin Popović, den er Ende der 1960er Jahre kennenlernte. Popović war Archimandrit und lebte seit 1948 zurückgezogen im Nonnenkloster Ćelije bei Valjevo in Zentralserbien, nachdem die kommunistischen Machthaber ihn nach dem Zweiten Weltkrieg als Theologieprofessor der Universität verwiesen hatten. Amfilohije wurde zu Popović' geistlichem Schüler und übernahm wesentliche Elemente von dessen Theologie. Wie Popović betonte Amfilohije besonders das Verständnis von Jesus Christus als „Gottmensch“ und übertrug diesen christologischen Begriff auf die Ekklesiologie, so dass die Kirche der Gottmensch auf Erden ist: „Das Leben der Kirche, ja sie ist – der Gottmensch Christus, durch die Kraft der Anwesenheit des heiligen Geistes durch die Jahrhunderte verlängert, gegründet auf der einen unveränderlichen Wahrheit“ (Die Mission der Kirche und ihre Methodik durch die Jahrhunderte). Die so christologisch aufgeladene Identität zwischen Kirche und Gottmensch mag auch Amfilohijes wortgewaltiges – und oftmals kompromissloses – Einstehen für die Kirche erklären, wann immer er sie angegriffen sah.

An der Theologischen Fakultät in Belgrad hatte Amfilohije den Lehrstuhl für Katechese und Pädagogik inne, so dass seine theologischen Werke auch immer einen katechetischen Anstrich hatten, wie Amfilohijes langjähriger Weggefährte, der emeritierte Bischof Atanasije (Jevtić), betonte. Dadurch prägte er ganze Generationen von Theologiestudierenden, woran Bischof Grigorije (Durić) von Düsseldorf und ganz Deutschland in seiner Predigt nach der Beisetzung Amfilohijes erinnerte: „An der Theologischen Fakultät in Belgrad war er der Lehrer, der selbstlos jedem die Theologie offenbarte und uns nicht nur authentisch die Gotteslehre erklärte, sondern auch das Leben selbst und alles, was das Leben umfasst.“

Aber nicht nur akademisch, sondern auch kirchenpolitisch machte Amfilohije seit den 1980er Jahren von sich reden: So gehörte er mit anderen bekannten Popović-Schülern – dem bereits erwähnten Atanasije (Jevtić) und Irinej (Bulović) – 1982 zu den 21 unterzeichnenden Priestern und Mönchen eines „Appells zur Verteidigung der serbischen Bevölkerung und seiner Heimat in Kosovo“, der sich an die politische Führung Serbiens und Jugoslawiens sowie an die Bischofsversammlung der SOK richtete. Vier Jahre später forderte er zusammen mit weiteren 210 Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens entschiedene Maßnahmen zum Stopp der vermeintlichen „albanischen Aggression“ in Kosovo. Mit solchen Äußerungen trug Amfilohije zur diskursiven Verfeindung zwischen den Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien bei, was ihn zum zeitweisen Bündnispartner von Slobodan Milošević machte, der Ende der 1980er Jahre ebenfalls die Kosovo-Thematik zum Ausbau der eigenen Macht für sich entdeckte. 1985 wurde Amfilohije von der Bischofsversammlung zum Bischof des Banats gewählt. Wenige Jahre später wurden auch Atanasije (Jevtić) und Irinej (Bulović) zu Bischöfen, so dass die Schüler von Justin Popović, bisher zumeist Professoren, nun auch innerkirchlich wichtiger wurden.

Erneuerung des kirchlichen Lebens in Montenegro
Nach dem altersbedingten Rücktritt von Metropolit Danilo (Dajković) von Montenegro wurde Amfilohije 1990 von der Bischofsversammlung zu dessen Nachfolger gewählt und am 30. Dezember in Cetinje inthronisiert. Bei Amfilohijes Amtsantritt befand sich die SOK in Montenegro in einem beklagenswerten Zustand: Es gab nur noch eine Handvoll Priester und Mönche, und viele Kirchen und Klöster waren renovationsbedürftig. Mit großer Tatkraft begann Amfilohije mit dem kirchlichen Wiederaufbau, so dass sich in den letzten 30 Jahren die Zahl der Geistlichen und der Gläubigen vervielfachte, über 600 Kirchen und Klöster renoviert oder neugebaut wurden und das kirchliche Leben wieder aufblühte. In Meinungsumfragen des „Zentrums für Demokratie und Menschenrechte“ aus Podgorica zu den Institutionen im Land, denen die Menschen am meisten vertrauen, nimmt die SOK heute regelmäßig eine Spitzenposition ein.

Dank der Bemühungen von Metropolit Amfilohije wurde 1992 auch das Theologische Seminar in Cetinje wiedereröffnet, das die sozialistischen Behörden 1945 geschlossen hatten. Ebenfalls 1992 gründete er die kirchliche Monatszeitschrift Svetigora (Heiliger Berg), die sich in den folgenden Jahren zu einem Medienunternehmen mit Verlagshaus und eigener Radiostation entwickelte. Zum 1700. Jahrestag des Toleranzedikts von Mailand wurde 2013 die neue Auferstehungskathedrale in Podgorica eingeweiht, deren Bau Amfilohije 1993 initiiert hatte. Bei der Einweihung waren Vertreter aller orthodoxen Lokalkirchen anwesend, u. a. der Ökumenische Patriarch Bartholomaios und der russische Patriarch Kirill, was das Ansehen und die große Wertschätzung zeigt, die Amfilohije auch in der Gesamtorthodoxie genoss. Er vertrat die SOK in zahlreichen innerorthodoxen Gremien und bei ökumenischen Treffen, so etwa in den Vorbereitungskommissionen zum Panorthodoxen Konzil oder bei der Amtseinführung von Papst Franziskus. Wie sein Lehrer Justin Popović war Amfilohije jedoch ökumenekritisch, wenn er ein Aufweichen der orthodoxen Kirchenlehre befürchtete. So bekannte er nach dem Panorthodoxen Konzil auf Kreta 2016, dass er dessen Dokument „Die Beziehungen der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt“ nicht unterschrieben habe, weil der Text „nicht ausreichend vorbereitet“ gewesen sei.

Ambivalente Beziehung zu Đukanović
Welch großen öffentlichen Einfluss sich die SOK in den letzten Jahrzehnten dank Amfilohije in Montenegro erworben hat, wurde auch an den kirchlichen Protesten und Kreuzprozessionen gegen das Ende Dezember 2019 verabschiedete Religionsgesetz deutlich, an denen sich mehrere Tausend Menschen beteiligten. Bei den Parlamentswahlen im August 2020 unterstützte die Kirche daher auch die Oppositionsparteien gegen die „Demokratische Partei der Sozialisten“ (DPS) von Präsident Milo Đukanović, die erstmals seit 30 Jahren zur Bildung einer neuen Regierungskoalition ohne Beteiligung der DPS in Montenegro führten. Vermittelt wurde das neue Regierungsbündnis wesentlich von Metropolit Amfilohije, der im Kloster Ostrog die Anführer der bisherigen Oppositionsparteien von einem gemeinsamen Vorgehen gegen die DPS und Đukanović überzeugen konnte.

Die scharfe Rhethorik, mit der sich Amfilohije und Đukanović zuletzt bedacht hatten, sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide langjährige Weggefährten waren, die seit Beginn der 1990er Jahre das politische und öffentliche Leben in Montenegro maßgeblich geprägt haben. Im Machtkampf 1997 zwischen Đukanović und Milošević und dessen Exponenten in Podgorica, Momir Bulatović, unterstützte Amfilohije ersteren und half ihm so, seine Macht in Montenegro zu festigen. Die Beziehungen zwischen Amfilohije und Đukanović waren zwar nie spannungsfrei, doch lange Zeit waren sie für beide Seiten von gegenseitigem Nutzen. Eine Entfremdung setzte erst ein, als Đukanović immer deutlicher Kurs in Richtung Unabhängigkeit Montenegros von Serbien nahm. Amfilohije war zwar stolz und bestens vertraut mit den kulturellen Traditionen des Landes – so spielte er Gusle und beherrschte den Gesang epischer Heldenlieder –, doch lehnte er eine Unabhängigkeit Montenegros von Serbien vehement ab, da er die montenegrinische Nation als „Erfindung“ der Kommunisten betrachtete. Dies brachte ihn seit seinem Amtsantritt als Metropolit in Konflikt mit denjenigen nationalbewussten Kreisen in Montenegro, die sich seit den 1990er Jahren für einen unabhängigen Staat und eine eigenständige, von Belgrad unabhängige orthodoxe Kirchenstruktur einsetzten. Die Konflikte mit der 1993 gegründeten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche überschatteten so die ganze Amtszeit von Metropolit Amfilohije, der Đukanović seit Anfang der 2000er Jahre immer häufiger vorwarf, diese illegitime Kirchenstruktur zu unterstützen.

Im Vorfeld des montenegrinischen Unabhängigkeitsreferendums 2006 sorgte Amfilohije mit der Errichtung einer kleinen Metallkirche auf dem 1594 Meter hohen Berg Rumija in einer Nacht- und Nebelaktion 2005 zwar für erhebliche Aufregung, doch akzeptierte er das Ergebnis der Abstimmung, ohne – wie zuvor befürchtet – zu Protesten dagegen aufzurufen. Ebenfalls lautstark protestierte er gegen die Anerkennung Kosovos durch Montenegro 2008 und den Beitritt des Landes zur NATO 2017, doch in beiden Fällen unterlag er der politischen Führung um Đukanović.

Gescheiterte politische Projekte
Metropolit Amfilohije prägte jedoch nicht nur das religiöse und politische Leben in Montenegro in den letzten drei Jahrzehnten mit, sondern auch im gesamten postjugoslawischen Raum. So war er mit allen führenden serbischen Politikern in Kontakt bzw. in Konflikt. Mit Milošević verband ihn zwar Ende der 1980er Jahre, Anfang der 1990er Jahre das Engagement für die Kosovo-Serben, doch setzte schon bald Ernüchterung ein, weil Milošević der Kirche in vielen Punkten (Restitution des staatlichen Eigentums, Religionsunterricht an staatlichen Schulen, etc.) nicht entgegenkam. 1996 solidarisierte er sich mit den Studierendenprotesten gegen Milošević. Viel näher standen Amfilohije die „Antikommunisten“ Radovan Karadžić, der auch Gast bei seiner Inthronsiation als Metropolit war, und Vojislav Šešelj und deren nationalistische Politik. Während des Krieges in Bosnien-Herzegowina stand Amfilohije in engem Austausch mit Karadžić, was nach dessen Untertauchen nach Kriegsende bis zu seiner Verhaftung im Juli 2008 in Belgrad den Verdacht nährte, dass sich Karadžić unter der Obhut Amfilohijes in einem Kloster in Montenegro versteckt haben könnte. Bei der Beerdigung von Karadžić' Mutter 2005 verglich er diese mit der Jugović-Mutter, einer mythischen Gestalt aus der Kosovo-Sage, die den Helden bis zum Ende beisteht.

Überraschenderweise sagte Amfilohije im gleichen Jahr in einem Interview, dass er sich an Karadžić' Stelle dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag stellen und Verantwortung übernehmen würde, dies sei besser als sich zu verstecken. Dass er damit aber nicht unbedingt eine kritische Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit verband, machten Amfilohijes Aussagen zum Massaker von Srebrenica deutlich: dieses bezeichnet er zwar als Verbrechen, aber zuallererst als „Rache“ für vorangegange bosniakische Verbrechen an der serbischen Bevölkerung. Zudem drückte er nach dem Tod von Milošević in der Haft in Den Haag sein Bedauern aus, dass er nicht auf dessen Wunsch eingegangen sei, vor dem ICTY als Zeuge für ihn auszusagen. Auf seine Weise habe auch Milošević „aufrichtig für das serbische Volk“ gekämpft.

Amfilohijes Eintreten für die – letztlich alle gescheiterten – politischen nationalistischen Projekte zur Vereinigung aller Serben in einem Staat machten ihn zu einer höchst umstrittenen Figur. Mit seinen politischen Äußerungen löste er immer wieder Kontroversen mit Vertretern der serbischen Zivilgesellschaft als auch mit politischen und religiösen Vertretern der Nachbarländer aus. Für einen Eklat sorgte Amfilohije auch, als er bei der Beisetzung des ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Đinđić im März 2003 sagte, dass diesen „kurzsichtiger und blinder Bruderhass“ götet habe, den „die ewige Wahrheit vorausgesehen hat, weil derjenige, der das Schwert nimmt, wird auch durch das Schwert umkommen.“

Großes kirchliches Ansehen
Die politischen Kontroversen um seine Person taten seiner Verehrung unter den orthodoxen Gläubigen keinen Abbruch, in Montenegro nannten ihn viele zuletzt nur noch liebevoll „Großvater“. Innerkirchlich erreichte Amfilohije den größten Einfluss, als er aufgrund des angegriffenen Gesundheitszustands von Patriarch Pavle (Stojčević) in dessen letzten Lebensjahren zu seinem Stellvertreter ernannt wurde und nach dessen Tod im November 2009 als Thronverweser (locum tenens) fungierte. 2011 wurde ihm zudem die Administration der Eparchie von Buenos Aires und Südamerika übertragen.

Am 6. Oktober 2020 wurde bekannt, dass sich der Metropolit mit Covid-19 infiziert und eine Lugenentzündung zugezogen hatte. Nach einer kuzzeitigen Besserung seines Gesundheitszustands starb Metropolit Amfilohije am 30. Oktober in einem Krankenhaus in Podgorica – einen Tag vor dem Todestag zwei seiner bedeutendsten Vorgänger auf dem Thron von Cetinje: der beiden Fürstbischöfe Petar I. (1748–1830) und Petar II. (1813–1851) aus dem Hause Petrović-Njegoš, in deren Fußstapfen sich Amfilohije während seiner fast 30-jährigen Amtszeit als Metropolit von Montenegro eingeschrieben hat.

Stefan Kube

Bild: Metropolit Amfilohije an der 700-Jahr-Feier des Klosters Tronoša 2017. (©Vanilica, CC BY-SA 4.0)