Unabhängigkeit der lettischen Orthodoxie ist Teil der Sicherheitspolitik
Interview mit Inese Runce
Am 20. Oktober hat die Lettische Orthodoxe Kirche ihr Statut angepasst, um einem neuen Gesetz Folge zu leisten, das jegliche Einflussnahme des Moskauer Patriarchats verbietet. Was bedeutet das für die Kirche?
Ich denke, dass es sich dabei mehrheitlich um eine politische Sicherheitsfrage zum aktuellen Zeitpunkt handelt: es ist ein symbolischer Abbruch der alten und starken Verbindungen mit Moskau. Als Expertin für Fragen des Kirche-Staat-Verhältnisses war ich ziemlich überrascht, dass die Anpassungen eingeführt wurden. Ich war nicht von der Politik des Staats und der Regierung überrascht, sondern von der völlig friedlichen und neutralen Reaktion der orthodoxen Kirchenhierarchie und von Metropolit Alexander (Kudrjaschov). Ich hätte eine ausdrücklichere und negative Reaktion der Hierarchie, Institutionen und Laien erwartet. Die orthodoxe Kirche in Lettland ist extrem autoritär: Alle Macht und Kontrolle liegen in Alexanders Händen. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Veränderungen für ihn persönlich akzeptabel und vorteilhaft sind, und seine Herde bewegt sich einfach in die gleiche Richtung.
Der erste politische Schritt, um den Einfluss Moskaus in der Lettischen Orthodoxen Kirche zu neutralisieren, wurde allerdings vor ein paar Jahren unternommen. Damals veranlasste die Regierung Anpassungen im Gesetz zur Regulierung des Status der orthodoxen Kirche in Lettland, die verlangten, dass alle orthodoxen Bischöfe die lettische Staatsbürgerschaft haben müssen.
Die Lettische Orthodoxe Kirche hat sich auch mit einem Schreiben an Patriarch Kirill gewandt, um ihrer Status zu klären. Was passiert, wenn das Moskauer Patriarchat das neue Statut nicht akzeptiert?
Es gibt zwei mögliche Lösungen. Lettland kann sich an das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel wenden und um eine kanonische Verbindung bitten. Angesichts der Kirchengeschichte in Lettland, in der die orthodoxe Kirche in Lettland von 1936 bis 1940 Teil des Patriarchats von Konstantinopel war, wäre das durchaus möglich und verständlich. Wenn Konstantinopel nein sagt, gäbe es vermutlich andere Patriarchate, die ihre Muskeln spielen lassen und die Lettische Orthodoxe Kirche unter ihre Fittiche nehmen könnten, aber das ist eher unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist jedoch, dass die orthodoxe Kirche in Lettland eines Tages schismatisch oder vom Rest der globalen Orthodoxie isoliert wird.
In Lettland lebt eine beträchtliche russische Minderheit, die mehrheitlich der orthodoxen Kirche angehört. Dennoch war die Zustimmung für die Anpassung des Kirchenstatuts sehr groß. Was sagt das über die Stimmung unter den Gläubigen angesichts des Kriegs gegen die Ukraine aus?
Zunächst möchte ich klarstellen, dass aufgrund der Krise in der Kirche und des starken Säkularisierungsprozesses nur eine sehr kleine Zahl aktiver Gläubiger der Lettischen Orthodoxen Kirche angehört. Zudem gehört ein großer Teil der ethnisch russischen Bevölkerung in Lettland zur Gemeinschaft der russischen Altgläubigen, die nichts mit der modernen orthodoxen Kirche zu tun hat. Das ist nicht ihre Angelegenheit – weder politisch noch religiös.
Gemäß verschiedenen internationalen und nationalen soziologischen Umfragen ist die überwältigende Mehrheit der russischen und russischsprachigen Bevölkerung in Lettland tendenziell „kulturell“ und nicht religiös orthodox. Die Komponente der orthodoxen Identität ist symbolisch sehr präsent, aber nicht in deren tägliches Leben oder spirituelle Praxis integriert. Vermutlich sieht die orthodoxe Bevölkerung die Gesetzesanpassung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und Lettlands Reaktion darauf. Die Mehrheit der Gläubigen blickt durch die Linse der Weltpolitik auf das neue Gesetz. Weder Präsident Egils Levits noch das lettische Parlament haben das Ziel des neuen Gesetzes versteckt oder versucht, dieses öffentlich in einem anderen Licht darzustellen. Die Anpassungen wurden von allen Seiten als Teil von Sicherheitsaspekten präsentiert, diskutiert und akzeptiert.
Inese Runce, Dr., leitende Forscherin am Institut für Philosophie und Soziologie und Dozentin für baltische Geschichte sowie Kultur- und Religionsstudien an der Universität Lettland.
Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.
Bild: Die Allerheiligenkirche in Riga, in der das Konzil stattfand.