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Stimmen zum Kyjiwer Höhlenkloster: Bohdan Ohultschanskyj

23. März 2023

Bohdan Ohultschanskyj
Ukrainische Orthodoxe Kirche: Geisel von prorussischen Gruppierungen

Der Konflikt um das Kyjiwer Höhlenkloster (Lavra) hat sowohl in der Ukraine als auch im Ausland ein großes Echo ausgelöst. Die Schlagzeilen in einigen Medien wirken atemberaubend: Die Mönche „werden bereits zum dritten Mal in der Geschichte der Lavra ihres Heimatklosters beraubt“. Die beiden ersten Male geschah dies auf Befehl der kommunistischen Regierung in den 1920er und den 1950er Jahren. Die aktuelle Situation ist jedoch nicht so eindeutig. Einerseits hat die Kyjiwer Metropolie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) laut einer Expertenkommission die Nutzungsbedingungen des denkmalgeschützten Territoriums grob missachtet. Deshalb wurde die Nutzungsvereinbarung gekündigt, und die Leitung der Kirche und des Kyjiwer Höhlenklosters muss ihre Tätigkeiten auf dem Territorium der Lavra einstellen. Andererseits hat das Kulturministerium angekündigt, dass niemand die Mönche gewaltsam vertreiben wird.

Das Höhlenkloster (sowie andere Denkmäler von nationaler Bedeutung) gilt als Nationalheiligtum. Seit der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine wurden mehrere Male Vereinbarungen über das Recht der UOK unterschrieben, die Kirchen und Gebäude zu nutzen, die für das Leben der Mönche notwendig sind, doch blieb die denkmalgeschützte Lavra staatliches Eigentum. Zudem sah die Vereinbarung vor, dass der Staat die Instandhaltung der der Kirche zur Verfügung gestellten Einrichtungen beaufsichtigen sollte.

Umstrittener Abt der Lavra
1994 wurde Metropolit Pavlo (Lebid) zum Vorsteher der Kyjiwer Lavra bestimmt, und seither ruft seine Klosterleitung emotionale Diskussionen hervor. Metropolit Pavlo kommt vom Land und hat laut seiner Biographie nach der Schule nur eine geistliche Bildung erhalten, die ein gewöhnlicher Priester braucht (die höhere Bildung erhielt er formell, als er bereits Klostervorsteher war). Seine Fähigkeiten als effektiver Klostermanager im Laufe der Jahre waren verbunden mit seiner Unfähigkeit, das „Gesicht“ des Hauptklosters in der Ukraine zu sein. Es gibt kaum Bereiche der Kooperation von Gesellschaft und Kirche, in denen Pavlo durch seine Handlungen keinen Schatten auf die Kirche geworfen hätte. Mehrmals beleidigte er Journalisten, bis zur Anwendung von physischer Gewalt. Politisch unterstützte er erst öffentlich die Kommunisten der Ukraine (also die Erben der bolschewistischen Kirchenverfolger) und dann die prorussische, heute verbotene Partei der Regionen, deren Abgeordneter im Stadtrat von Kyjiw er selbst gewesen war. Er diskreditierte das Mönchtum als Besitzer sehr teurer Mercedes-Wagen erster Klasse und einer Luxusvilla bei Kyjiw, und er diskreditierte das Kloster, indem er auf dem denkmalgeschützten Gebiet eine große Anzahl von Wirtschaftsgebäuden errichtete, ohne eine Erlaubnis der Behörden eingeholt zu haben.

Andererseits ist es für viele orthodoxe Gläubige wichtiger, dass Pavlo den guten äußeren Zustand der Kirchen und Gebäude garantierte. Es werden göttliche Liturgien mit alten Lavra-Gesängen abgehalten, es gibt aufmerksame Seelsorger, die sich um die Gemeindeglieder kümmern. Die Tatsache der langjährigen illegalen Bautätigkeiten ist für den Großteil der Gläubigen und Geistlichen der UOK mit ihrer traditionellen Weltanschauung von keinerlei Bedeutung. Für sie ist der mögliche Verlust des Kyjiwer Höhlenklosters der „kanonischen,“ einzig wahren Kirche in der Ukraine eine Bestätigung des apokalyptischen Szenarios der „letzten Zeiten“, in denen die unschuldige Kirche zum Opfer des gottlosen Staats wird. Oder in einer weiterhin verbreiteten Variante: Die „Heilige Rus‘“, deren Teil „Kleinrussland“ bzw. die Ukraine ist, wird zum Opfer des geistlosen Westens.

Kompromisslose Kirchenleitung
Die Missachtung der Nutzungsbedingungen ist zwar Anlass, aber nicht Ursprung des staatlichen Drucks auf die UOK. Das Problem der UOK besteht darin, dass sie zwar formal den Status einer weitreichenden Autonomie genießt, doch in den 30 Jahren der unabhängigen Ukraine in Abhängigkeit vom Moskauer Patriarchat geblieben ist. Die Kirche hat der Gesellschaft nicht bewiesen, dass eine unabhängige Ukraine für sie ein absoluter Wert ist. Die ukrainische Gesellschaft hält die UOK für abhängig von Moskau, weil viele ihrer Priester und einige Bischöfe in den besetzten Gebieten den Aggressor unterstützt haben, und weil die UOK-Leitung nicht bewiesen hat, dass der verkündete Bruch mit Moskau real stattgefunden hat.

Daher kann man davon ausgehen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt für die Regierung wichtig ist, die Möglichkeiten und den Einfluss derjenigen Akteure der UOK einzuschränken, die russische Narrative verbreiten und vermutlich die Unterstützung von prorussischen Kräften genießen. Solche Bischöfe wurden vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat bereits sanktioniert, indem ihre Tätigkeiten eingeschränkt wurden. Die einflussreichsten unter ihnen sind Metropolit Pavlo und Metropolit Antonij (Pakanitsch), der Geschäftsführer der UOK. Wenn es gelingt, den Einfluss der prorussischen Gruppierung zu unterbinden, würde sich das Verhältnis des Staats zu dieser Konfession merklich verbessern. Doch es scheint, dass Metropolit Pavlo und seine Verbündeten ihre Positionen nicht räumen wollen.

Die Motive der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) kann man in dieser Situation gut verstehen: Aus ihrer Sicht sollte sie als autokephale Kirche der Ukraine in der Lavra als Hauptheiligtum der Ukraine anwesend sein, und nicht die Vertreter einer anderen Kirche. Das Problem besteht allerdings darin, dass, die OKU, im Unterschied zur UOK, nur wenige Mönche hat und die Tätigkeiten eines großen Klosters nur schwer garantieren kann. Die Leitung der OKU möchte, dass ein Teil der Mönche in der Lavra bleibt und sich der OKU anschließt. Die Leitung der UOK wiederum fordert von den Mönchen Einmütigkeit und die solidarische Absage gegenüber solchen Vorschlägen. Im Moment ist die Situation noch offen. Doch herrscht der Eindruck vor, dass die Leitung der UOK zu keinerlei Kompromissen bereit ist: Entweder man vergibt uns alles, oder wir verhalten uns vollkommen illoyal und drohen mit der Strafe Gottes. Die kommenden Wochen werden darüber entscheiden, ob in der Lavra eine Mönchsgemeinschaft in irgendeiner Form erhalten bleibt, und welche Zukunft die UOK in der Ukraine hat.

Bohdan Ohultschanskyj, Priester der OKU (bis 2018 UOK), Dozent an der Offenen Orthodoxen Sophia-Universität in Kiew.

Übersetzung aus dem Russischen: Regula Zwahlen.