Katharina Kunter zu 100 Jahren Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder
12. Juli 2018
Dieses Jahr feiert die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) ihr 100-jähriges Bestehen. Die Kirche entstand am 17./18. Dezember 1918 durch die Vereinigung der reformierten und lutherischen tschechischen Gemeinden in Böhmen und Mähren. Was waren die Gründe für diese Kirchenunion?
Der äußere politische Grund war der Zerfall des Habsburgerreiches nach dem Ersten Weltkrieg und die Ausrufung der Ersten Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918. Ihr erster Präsident, der tschechische Philosoph Tomáš Masaryk, war bereits 1890 vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten. Für ihn, wie auch für viele andere Tschechen und Slowaken, war das katholische Habsburgerreich keine staatliche Alternative mehr; sie setzten auf eine moderne Demokratie und eine Schwächung des Einflusses der katholischen Kirche.
Diesen Weg wollten die evangelischen Kirchen durch einen Zusammenschluss der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, also der Lutheraner, und der Kirche Helvetischen Bekenntnisses, also der Reformierten, stärken. Denn mit der Ausrufung des neuen Staates war zugleich eine neue Identität gefragt, ein neues „Narrativ“: Dieses rückte nun explizit die tschechische Reformation mit Jan Hus in den Vordergrund. Die lange herbeigesehnte Vereinigung der evangelischen Kirchen 1918 knüpfte an Hus und die Hussiten an, wie auch an die evangelische Bewegung der Böhmischen Brüder, die 1722 durch Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) in Herrnhut begründet worden war. Beide Traditionen nahm die neu gegründete Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder in ihrem Symbol auf, in dem der Kelch (hussitische Tradition) auf der Bibel steht (brüderische Tradition).
Ebenfalls in diesem Jahr jährt sich der 50. Jahrestag des Prager Frühlings. Inwieweit hat die EKBB am Prager Frühling und den anschließenden Entwicklungen partizipiert?
Im Gegensatz zu den Intellektuellen und Künstlern, die seit Mitte der 1960er Jahre mehr und mehr eine außerparlamentarische Opposition formten, hielten sich die führenden Vertreter der EKBB – darunter auch der Theologe Josef L. Hromádka – mit staatskritischen, politischen Stellungnahmen zurück. Erst, nachdem in den ersten Monaten des Jahre 1968 die Zensur abgeschafft worden war und der Prager Frühling begann, gab der Synodalrat der EKBB am 14. März 1968 eine erste offizielle Stellungnahme heraus, in der er das Programm eines demokratischen Sozialismus guthieß. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings am 21. August 1968, in der Periode der „Normalisierung“, verschärfte die Kommunistische Partei ihre aggressive, antireligiöse Politik. Gegen den Druck und die Hoffnungslosigkeit verbrannte sich am 16. Januar 1969 der Student Jan Palach, Mitglied der EKBB, auf dem Prager Wenzelsplatz. Die Predigt bei der Beerdigung hielt der Theologe Jakub Trojan, später Unterzeichner der Charta 77.
Die offizielle evangelische Kirche, der Synodalrat der EKBB, widerstand dem politischen Druck nicht. Auch setzte er sich nicht für eine Gruppe jüngere Pfarrer ein, die sich Anfang der 1970er Jahre gegen die politischen Repressionen gegen die Kirchen zur Wehr gesetzt hatten und deswegen verhaftet worden waren. Aus dem regimekritischem Reservoir der jüngeren evangelischen Pfarrer entstammten dann auch die Protestanten, die die Charta 77 unterzeichneten.
Vor welchen Herausforderungen steht die EKBB heute?
Sie teilt die Herausforderung aller europäischen Kirchen heute, nämlich: Wie kann Kirche angesichts von zunehmenden Nationalismus, verbaler Aggressivität und gesellschaftlicher Polarisierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Materialismus glaubhaft das Evangelium Jesu Christi bezeugen? Unter den postsozialistischen Ländern steht die Tschechische Republik wirtschaftlich bestens da, das böte den Raum, sich als Kirche über die eigenen Interessen und Probleme hinweg zu entwickeln. Interessant ist dabei auch, dass die EKBB bereits seit 1953 Frauen ordiniert, von den 250 Pfarrern der EKB sind heute 50 weiblich. Zugleich hat die Tschechische Republik mit 91 Prozent jedoch den höchsten Anteil an jungen Erwachsenen zwischen 16 und 29 Jahren ohne Religion. Das macht die christliche Verkündigung zu einer besonderen Herausforderung.
Katharina Kunter, Dr. habil., Historikerin mit dem Forschungsschwerpunkt Internationale Protestantismusgeschichte. Lebt in Frankfurt a.M..
Bild: ©Katharina Kunter.
Der äußere politische Grund war der Zerfall des Habsburgerreiches nach dem Ersten Weltkrieg und die Ausrufung der Ersten Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918. Ihr erster Präsident, der tschechische Philosoph Tomáš Masaryk, war bereits 1890 vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten. Für ihn, wie auch für viele andere Tschechen und Slowaken, war das katholische Habsburgerreich keine staatliche Alternative mehr; sie setzten auf eine moderne Demokratie und eine Schwächung des Einflusses der katholischen Kirche.
Diesen Weg wollten die evangelischen Kirchen durch einen Zusammenschluss der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, also der Lutheraner, und der Kirche Helvetischen Bekenntnisses, also der Reformierten, stärken. Denn mit der Ausrufung des neuen Staates war zugleich eine neue Identität gefragt, ein neues „Narrativ“: Dieses rückte nun explizit die tschechische Reformation mit Jan Hus in den Vordergrund. Die lange herbeigesehnte Vereinigung der evangelischen Kirchen 1918 knüpfte an Hus und die Hussiten an, wie auch an die evangelische Bewegung der Böhmischen Brüder, die 1722 durch Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) in Herrnhut begründet worden war. Beide Traditionen nahm die neu gegründete Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder in ihrem Symbol auf, in dem der Kelch (hussitische Tradition) auf der Bibel steht (brüderische Tradition).
Ebenfalls in diesem Jahr jährt sich der 50. Jahrestag des Prager Frühlings. Inwieweit hat die EKBB am Prager Frühling und den anschließenden Entwicklungen partizipiert?
Im Gegensatz zu den Intellektuellen und Künstlern, die seit Mitte der 1960er Jahre mehr und mehr eine außerparlamentarische Opposition formten, hielten sich die führenden Vertreter der EKBB – darunter auch der Theologe Josef L. Hromádka – mit staatskritischen, politischen Stellungnahmen zurück. Erst, nachdem in den ersten Monaten des Jahre 1968 die Zensur abgeschafft worden war und der Prager Frühling begann, gab der Synodalrat der EKBB am 14. März 1968 eine erste offizielle Stellungnahme heraus, in der er das Programm eines demokratischen Sozialismus guthieß. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings am 21. August 1968, in der Periode der „Normalisierung“, verschärfte die Kommunistische Partei ihre aggressive, antireligiöse Politik. Gegen den Druck und die Hoffnungslosigkeit verbrannte sich am 16. Januar 1969 der Student Jan Palach, Mitglied der EKBB, auf dem Prager Wenzelsplatz. Die Predigt bei der Beerdigung hielt der Theologe Jakub Trojan, später Unterzeichner der Charta 77.
Die offizielle evangelische Kirche, der Synodalrat der EKBB, widerstand dem politischen Druck nicht. Auch setzte er sich nicht für eine Gruppe jüngere Pfarrer ein, die sich Anfang der 1970er Jahre gegen die politischen Repressionen gegen die Kirchen zur Wehr gesetzt hatten und deswegen verhaftet worden waren. Aus dem regimekritischem Reservoir der jüngeren evangelischen Pfarrer entstammten dann auch die Protestanten, die die Charta 77 unterzeichneten.
Vor welchen Herausforderungen steht die EKBB heute?
Sie teilt die Herausforderung aller europäischen Kirchen heute, nämlich: Wie kann Kirche angesichts von zunehmenden Nationalismus, verbaler Aggressivität und gesellschaftlicher Polarisierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Materialismus glaubhaft das Evangelium Jesu Christi bezeugen? Unter den postsozialistischen Ländern steht die Tschechische Republik wirtschaftlich bestens da, das böte den Raum, sich als Kirche über die eigenen Interessen und Probleme hinweg zu entwickeln. Interessant ist dabei auch, dass die EKBB bereits seit 1953 Frauen ordiniert, von den 250 Pfarrern der EKB sind heute 50 weiblich. Zugleich hat die Tschechische Republik mit 91 Prozent jedoch den höchsten Anteil an jungen Erwachsenen zwischen 16 und 29 Jahren ohne Religion. Das macht die christliche Verkündigung zu einer besonderen Herausforderung.
Katharina Kunter, Dr. habil., Historikerin mit dem Forschungsschwerpunkt Internationale Protestantismusgeschichte. Lebt in Frankfurt a.M..
Bild: ©Katharina Kunter.