Russland: Priester wegen Unterstützung für Navalnyj unter Druck
Der russische Priester Alexej Uminskij hat in einem Video dazu aufgerufen, „christliche Gnade“ gegenüber dem inhaftierten Oppositionellen Alexej Navalnyj zu zeigen. Navalnyj wurde im Januar unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland verhaftet und im Februar zu einer Haftstrafe verurteilt. Inzwischen ist er in Hungerstreik getreten, sein Gesundheitszustand hat sich rapide verschlechtert, aber ihm wird eine Untersuchung durch einen Arzt seines Vertrauens verwehrt.
In seinem kurzen Video erklärte Uminskij, für ihn als Priester seien der Name oder das Verbrechen eines Gefangenen nicht so wichtig. Große Bedeutung hätten hingegen „die Worte Christi, die zur gleichen Haltung gegenüber jeder Person hinter Gittern mahnen, wie gegenüber Christus selbst“. Er wandte sich mit seinem Video an „alle, von denen das Schicksal des inhaftierten Alexej und aller Gefangenen abhängt, die nicht die nötige medizinische Hilfe erhalten“. Uminskij besucht immer wieder Inhaftierte und Gefängnisseelsorger. Aus diesen Gesprächen wisse er, dass die Bedingungen nicht in allen Haftanstalten gut seien, darunter diejenige, in der Navalnyj sich befindet, erklärte er in einem Interview mit Echo Moskvy. Er hofft, dass die Aufmerksamkeit für das Schicksal Navalnyjs ein Anstoß für die Behörden ist, das seit langem bestehende Problem der medizinischen Versorgung in Gefängnissen zu lösen. Gerade, dass Navalnyj mit dem Mittel eines Hungerstreiks auf seinem Recht, von einem Arzt seiner Wahl untersucht zu werden, bestehe, könne diesen Zuständen Aufmerksamkeit verschaffen und eine Veränderung bewirken.
Uminskij leitet eine Gemeinde in Moskau und genießt dank seiner zahlreichen Publikationen zur Kirchenlehre und Medienauftritte hohes Ansehen. Er ist einer der wenigen russischen Geistlichen, die offen mit der Opposition sympathisieren. 2019 zählte er zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs, in dem russische Geistliche nach einem massiven Einsatz der Sicherheitskräfte gegen eine Kundgebung in Moskau die Behörden aufforderten, verhaftete Aktivisten freizulassen.
Zwei Tage nachdem Uminskij das Video online gestellt hatte, wurde er bei Spas, dem Fernsehsender der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), heftig kritisiert. In einer Sendung mit dem Titel „Wer zerrt die Kirche in die Politik und macht aus Kriminellen Märtyrer?“ griff Sergej Karnauchov, Politologiedozent an der Moskauer Universität, Uminskij scharf an. Karnauchov arbeitete früher für das Innenministerium und wird im russischen Fernsehen häufig zum Thema Opposition zitiert. Uminskij sei kriminell und sollte verhaftet werden, bevor er „unsere Kirche in den Abgrund stürzt“, sagte er während der Sendung. Er warf Uminskij „Extremismus“ vor und forderte, Priester systematischer zu disziplinieren. Die ROK müsse sich „völlig nüchtern und kaltblütig mit dem Kampf gegen farbige Technologien in den orthodoxen Gemeinden befassen“. Ansonsten werde sie in nächster Zukunft viel unter Geistlichen zu leiden haben, die zu den Hauptakteuren „nicht nur gegen die Kirche, sondern den verfassungsmäßigen Aufbau Russlands“ würden.
Verschiedene orthodoxe Organisationen und Kirchenvertreter ergriffen Partei für Uminskij, so der bekannte Erzdiakon Andrej Kurajev, der ihn in seinem LiveJournal-Blog in Schutz nahm. Ein anderer Geistlicher kritisierte auf Twitter, dass ein orthodoxer Fernsehsender so grob mit jemandem umgehe, anstatt das Evangelium zu verkünden. Zudem hätten sie Uminskij, der sich vor keinem Gespräch scheue, ebenfalls in die Sendung einladen sollen. Das orthodoxe Internetportal Pravmir kündigte an, solange seine Zusammenarbeit mit Spas zu unterbrechen, bis sich die Leitung des Senders offiziell entschuldigt habe.
Spas versprach, den Haftbedingungen von Gefängnisinsassen bald eine Sendung zu widmen. Allerdings soll es nicht um russische, sondern um amerikanische Gefängnisse gehen. Uminskij berichtete, die Verantwortlichen der Sendung hätten sich bereits bei ihm persönlich entschuldigt und wollten dies auch öffentlich tun. Der Moderator der betreffenden Sendung erklärte daraufhin, es sei ein Fehler gewesen, Karnauchovs Beschuldigungen zu senden. Die Rolle der Kirche sei, soziale Konflikte zu überwinden und sich für Frieden einzusetzen, seine Sendung werde sich in Zukunft wieder Fragen des Glaubens widmen. Er entschuldigte sich „bei allen, die verletzt wurden“.
Bereits im März war ein Geistlicher für seine Unterstützung Navalnyjs bestraft worden. Aufgrund seiner Teilnahme an einer Kundgebung zugunsten Navalnyjs im Januar in Chabarovsk wurde er zu 20 Tagen Haft verurteilt. Daraufhin enthob ihn die zuständige Eparchie seiner Funktion als Leiter zweier Gemeinden. Wegen seiner Haft könne er diese Aufgabe „physisch nicht erfüllen“. Auf die Frage, ob er danach zu seiner Arbeit zurückkehren könne, gab die Eparchie keine klare Antwort. 20 Tage seien „sehr viel“, diese Zeit müsse erst verstreichen. (NÖK)
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Artikel von Ksenia Luchenko
Englisch und Russisch
auf carnegie.ru
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