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Russland: Christen warnen vor einem sinnlosen Krieg

24. Februar 2022

Die Gruppe „Christliche Aktion“ hat in einem Statement vom 13. Februar Krieg verurteilt und zur Deeskalation an der Grenze zur Ukraine aufgerufen. Die Gruppe verurteilte eine Romantisierung des Krieges. Krieg sei „in erster Linie Töten, Leid der Angehörigen, Entmenschlichung, beschädigte Schicksale und Seelen, Plünderei und Sittenzerfall“. Dass Krieg „oft auch von den Kanzeln herunter gerechtfertigt wird“, beschmutze den Namen Christi.

Die Gruppe „Christliche Aktion“ ist laut eigenen Angaben eine unabhängige Bewegung, gegründet von Christen unterschiedlicher Konfessionen auf der Grundlage der evangelischen Prinzipien von „Freiheit, Barmherzigkeit, Achtung des Menschen als Ebenbild Gottes und Solidarität mit Leidenden und Verfolgten“. Die meisten von ihnen sind Mitglieder von Kirchgemeinden, treten aber gegen „Frömmelei und Ritengläubigkeit“ ein. Sie wehren sich gegen die „Diskreditierung des Christentums“ in Russland, insbesondere wenn diese durch Handlungen von Gläubigen oder Vertretern der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) betrieben werde. Eine zu enge Verbundenheit von Kirche und Staat kritisierte die Gruppe ebenfalls. In ihrem Statement lehnen sie „Feindschaft und Hass zwischen Menschen und Völkern“ sowie „neue Tötungen in einem neuen sinnlosen Krieg“ ab. Die Schuld am Krieg liege jeweils beim Aggressor, und die Gruppe möchte „Russland, unser Land, nicht in dieser Rolle sehen“. Man dürfe nicht zulassen, dass Menschenleben „mit unserem schweigenden Einverständnis“ für imperiale Ambitionen geopfert würden. Deshalb drängt die Gruppe darauf, dass alle russischen Truppen, die nicht normalerweise dort stationiert sind, von der ukrainischen Grenze weg verlegt werden.

Aus der ROK war bisher, zumindest auf ihren offiziellen Kanälen, nichts Derartiges zu hören. Im Gegenteil beglückwünschten Patriarch Kirill und Metropolit Ilarion, der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, den russischen Außenminister Sergej Lavrov zum Tag des Diplomaten. Beide bedankten sich für die langjährige, gute Zusammenarbeit zwischen der Kirche und dem Außenministerium. Metropolit Ilarion rühmte den persönlichen Beitrag Lavrovs zu dieser Zusammenarbeit, die „der Stärkung der traditionellen Moral im Verhältnis zwischen den Völkern, der Sorge für Mitbürger im Ausland und dem Schutz verfolgter Christen in verschiedenen Weltgegenden“ diene.

Antikriegsappelle gab es in Russland aber auch von anderen Seiten. So publizierte der Radiosender Echo Moskvy ein Statement von „Verfechtern des Friedens gegen die Partei des Kriegs in der russischen Regierung“. Diese beklagten, dass die russischen Bürger praktisch zu Geiseln eines „kriminellen Abenteurertums“, in das sich die Außenpolitik Russlands verwandelt habe, geworden seien. Sie warfen die Frage auf, ob die russische Bevölkerung, die allerdings niemand frage, diese Politik und einen Krieg wollten. Es werde versucht, die Menschen zu betrügen und ihnen die „Idee eines heiligen Kriegs gegen den Westen“ aufzuzwingen, statt das Land zu entwickeln und den Lebensstandard zu verbessern. Der Preis eines Krieges werde nicht diskutiert, diesen würden aber die einfachen Leute zu zahlen haben. Die Verfasser, die sich als „verantwortungsbewusste Bürger Russlands und Patrioten unseres Landes“ bezeichneten, wenden sich mit ihrem Statement an die „politische Führung Russlands“ und die „Kriegspartei“, die sich dort gebildet hat. Sie forderten Frieden für alle Russen und erklärten, Russland „braucht keinen Krieg mit der Ukraine und dem Westen“, denn „niemand bedroht uns, niemand greift uns an“. Krieg entspreche nicht nur nicht den Interessen Russlands, sondern würde das Land sogar in seiner Existenz bedrohen.

Auch die Oppositionspartei Jabloko sammelt Unterschriften gegen einen Krieg. Ein solcher Krieg sei nicht zu gewinnen, das Leben im Land würde sich zudem verschlechtern. Gesundheitswesen und Bildung würden leiden, Wohnraum würde noch knapper, die Währung an Wert verlieren und die Preise steigen. Außerdem würde sich Russland in die völlige Isolation begeben. Ein Krieg würde auf beiden Seiten Opfer fordern, etwas, das nicht mehr korrigiert werden könnte.

In einem Statement an Präsident Vladimir Putin und die Bevölkerung warnte auch die Allrussische Versammlung der Offiziere vor einem Krieg und dessen menschlichen Opfern und wirtschaftlichen Folgen. Es handelt sich dabei laut eigenen Angaben um eine Vereinigung von „Veteranen und aktiven Mitarbeitern der Streitkräfte, die mit der offiziellen Darstellung des Zustands der Streitkräfte nicht einverstanden sind“. Die Sowjetunion habe gerechte Kriege geführt, doch heute werde Russland nicht bedroht. Die eigentlichen Gefahren wie die demografische Krise kämen von innen. Äußere Bedrohungen gebe es durchaus, diese seien aber aktuell nicht kritisch. Die Konfliktsituation mit der Ukraine sei künstlich und diene einigen inneren Kräften in Russland. Die Offiziere verwiesen auf die mangelnde Attraktivität des russischen Modells gegenüber den Nachbarn, die mit Ultimaten und Drohungen nicht zu einer Liebe zu Russland gezwungen werden könnten. Für den Fall eines Kriegs befürchten sie den Untergang Russlands, eine ewige Feindschaft zwischen Russen und Ukrainern und den Tod junger Menschen im Kampf sowie den Widerstand des Westens. Daher forderten die Ex-Offiziere vom russischen Präsidenten eine Abkehr von der „verbrecherischen Politik“ der Kriegsprovokation. (NÖK)

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