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Russland: Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft mit Konstantinopel

18. Oktober 2018

Aus Protest gegen das Vorgehen des Ökumenischen Patriarchats in der ukrainischen Kirchenfrage hat die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) die eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel abgebrochen. Mit „tiefem Schmerz“ habe der Hl. Synod die Entscheidungen Konstantinopels vom 11. Oktober zur Kenntnis genommen, so die Kirchenleitung nach ihrer Sitzung am 15. Oktober 2018 in Minsk. In seiner Stellungnahme betont der Hl. Synod, dass die Entscheidungen des Ökumenischen Patriarchats „gesetzeswidrig“ und eigenmächtig getroffen worden seien. Konstantinopel habe die Aufrufe der ROK und anderer orthodoxer Lokalkirchen, eine panorthodoxe Diskussion durchzuführen, ignoriert. Angesichts dessen sei es der ROK leider unmöglich, die eucharistische Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel weiterzuführen.

Die ROK wirft Konstantinopel vor, aus „politischen Gründen seine Position geändert“ zu haben. Zwei Jahrzehnte lang hätte das Patriarchat die Maßnahmen der ROK gegen die Vertreter der Ukrainischen Orthodoxen Kirche–Kiewer Patriarchat (UOK–KP), die sich Anfang der 1990er Jahre vom Moskauer Patriarchat abgespalten hatten, respektiert. Die Wiederherstellung der Kirchengemeinschaft mit den von Moskau exkommunizierten Geistlichen berufe sich auf „inexistente ‚kanonische Privilegien des Patriarchen von Konstantinopel, Bitten von Hierarchen und Klerikern aller autokephalen Kirchen anzunehmen‘“. Die „Anmaßung von Rechten“, um Urteile und Entscheidungen anderer orthodoxer Lokalkirchen zu widerrufen, sei „nur eine der Manifestationen einer neuen falschen Lehre, die heute von der Kirche Konstantinopels proklamiert wird“, und dem Patriarchen das Recht des „Ersten ohne Gleiche“ mit einer umfassenden Jurisdiktion zuschreibe.

Der Versuch, das Schicksal der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zu entscheiden, stelle ein „unkanonisches Eindringen in fremden Kirchenbesitz“ dar. Die bisher einzige kanonisch anerkannte orthodoxe Kirche in der Ukraine untersteht dem Moskauer Patriarchat (Ukrainische Orthodoxe Kirche–Moskauer Patriarchat, UOK–MP), das deshalb die Ukraine als sein „kanonisches Territorium“ betrachtet. Der Hl. Synod warf dem Ökumenischen Patriarchat zudem vor, die Rechtfertigung seines Vorgehens mit dem „Wunsch, die Einheit der ukrainischen Orthodoxie wiederherzustellen“, sei „heuchlerisch“. Mit seinen „sinnlosen und politisch motivierten Entscheidungen“ trage es zusätzlich zu den Spaltungen und zum „Leiden der kanonischen orthodoxen Kirche der Ukraine“ bei. Angesichts seiner Bewegung aus dem „kanonischen Raum“ sei es „unmöglich“, die eucharistische Gemeinschaft mit der Hierarchie, den Priestern und Laien fortzusetzen. Bis das Ökumenische Patriarchat seine Entscheidungen widerrufe, sei es für den Klerus der ROK unmöglich, mit dem Klerus Konstantinopels zu konzelebrieren, und die Laien dürften die Sakramente nicht mehr in dessen Kirchen empfangen. An die anderen orthodoxen Lokalkirchen appellierte der Hl. Synod, die Aktionen Konstantinopels zu bewerten und gemeinsam nach Wegen zur Überwindung der „überaus ernsten Krise“ zu suchen.

Bei einer an die Sitzung des Hl. Synods anschließende Pressekonferenz sagte Metropolit Ilarion (Alfejev), Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, man hoffe auf „gesunden Menschenverstand“ und darauf, dass Konstantinopel seine Entscheidungen überdenke. In einem Interview mit dem russischen Fernsehen drückte er zudem die Hoffnung auf eine friedliche Lösung aus, bei der die Gläubigen die von ihnen gewählte Kirche besuchen. Zugleich rief er die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine auf, der kanonischen Kirche die Treue zu halten. Der Weg der „Rückkehr aus dem Schisma“ sei immer offen, erklärte der Metropolit weiter. Aber es gelte, sich einer „neuen kirchlichen Realität“ bewusst zu werden, dass es kein „Koordinationszentrum der orthodoxen Kirche“ mehr gebe. Konstantinopel habe das Recht, sich als dieses zu betrachten, verwirkt.

Die russische Auslandskirche hat die Entscheidungen Konstantinopels ebenfalls kritisiert und darauf hingewiesen, dass der Ökumenische Patriarch sich keine „päpstlichen Privilegien“ herausnehmen könne. Zudem warf sie Bartholomaios vor, „abhängig“ von Außenstehenden, politischen Parteien und Staaten geworden zu sein. Die UOK–MP sprach von einem Schock für die ganze orthodoxe Welt. Bartholomaios habe im Alleingang „sehr ernste, aber falsche Entscheidungen“ getroffen, und man hoffe, dass die Weltorthodoxie dieses Vorgehen „objektiv“ beurteilen werde. Mit seinem Schritt habe er nicht die „Schismatiker“ legitimiert, sondern sich selbst auf den Weg des Schismas begeben.

Kritisch äußerte sich auch der serbische Patriarch Irinej, die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchen könnte sich als „katastrophal für die Kirche“ erweisen. Zuvor hatte er zwei Briefe an Bartholomaios geschickt, in denen er betonte, die Verleihung der Autokephalie sei nur mit Zustimmung aller lokalen orthodoxen Kirchen möglich. Sowohl der Hl. Synod der Serbischen Orthodoxen Kirche wie auch Patriarch Irinej selbst haben der ROK und der UOK–MP ihre Unterstützung ausgesprochen. Während seines Aufenthalts in Belgrad hat sich auch Patriarch Johannes von Antiochien gegen die „Diskussion von Autokephalie-Fragen“ ausgesprochen, die Orthodoxie brauche im Gegenteil mehr Einheit, um sich den Herausforderungen der modernen Welt zu stellen. Er forderte ein panorthodoxes Konzil, an dem alle Lokalkirchen gemeinsam die Probleme der Orthodoxie diskutieren könnten. Der Hl. Synod seiner Kirche hatte bereits an seiner Sitzung Anfang Oktober den Ökumenischen Patriarchen aufgefordert, eine dringende Synaxis der Vorsteher aller Lokalkirchen einzuberufen.

In einem Statement fordern auch drei bulgarische Metropoliten, Gavriil (Dinev) von Loveč, Joan (Ivanov) von Varna und Daniel (Nikolov) von Vidin, ein panorthodoxes Konzil zur Klärung der Ukraine-Frage. Sie zeigten sich über die „Diskrepanz“ zwischen den angeblichen Motiven des Ökumenischen Patriarchats und den „tatsächlichen Entwicklungen“ besorgt. Die Angelegenheit „kann nicht durch die beiden Patriarchate gelöst werden“, sondern sei „nur durch eine panorthodoxe Diskussion und die Einberufung eines panorthodoxen Konzils“ möglich. Der bulgarische Hl. Synod hatte die Situation in der Ukraine an seiner regulären Sitzung am 4. Oktober besprochen, sich aber gegen eine offizielle Forderung nach einem Konzil entschieden. Unterstützt wird die Forderung nach einem panorthodoxen Konzil auch von der Polnischen Orthodoxen Kirche.

Metropolit Rastislav (Gonz), der Vorsteher der Orthodoxen Kirche von Tschechien und der Slowakei, versicherte Patriarch Kirill in einem Brief, dass sich seine Position zur Ukraine nicht verändert habe. Es handle sich um eine „grobe Einmischung“ staatlicher Behörden in die inneren Angelegenheiten der Kirche, was der Hl. Synod seiner Kirche schon an seiner Sitzung vom 12. Juni 2018 festgehalten habe. Jeder staatliche Versuch, die „ukrainischen Schismatiker zu legalisieren“, müsse von den Lokalkirchen entschieden abgelehnt werden. Der Hl. Synod der Griechischen Orthodoxen Kirche besprach das Thema an seiner Sitzung Anfang Oktober nicht. Als Reaktion auf die Beschlüsse Konstantinopels forderte aber Metropolit Seraphim (Stergioulas) von Kythira und Antikythera ebenfalls die Einberufung eines Konzils.

Bei der UOK–KP beurteilte man die Entscheidung der ROK als Imitation der Kreml-Politik. Deren Synod verfolge angesichts „legaler Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft“ ebenfalls eine Politik der „Selbstisolation“. (NÖK)

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