Polen: Tag des Judentums im Zeichen der Auschwitz-Befreiung 1945
Der Primas der katholischen Kirche in Polen, Erzbischof Wojciech Polak von Gniezno, hat sich gegen Versuche, die Polen generell als Antisemiten darzustellen, ausgesprochen. Solche Versuche bezeichnete er anlässlich der Feiern zum „Tag des Judentums“ als „schmerzlich und ungerecht“. Er hoffe, dass die guten Beziehungen zwischen Polen und Israel bzw. zwischen Christen und Juden in Polen durch die Nichtteilnahme von Präsident Andrzej Duda am Welt-Holocaust-Forum, das von Yad Vashem vom 21. bis 24. Januar veranstaltet und von zahlreichen Staats- und Regierungschefs besucht wird, nicht beeinträchtigt werden.
Duda hatte die Reise kurzfristig abgesagt, weil er in der Holocaustgedenkstätte in Jerusalem keine Rede halten dürfe – dies zu seiner Empörung im Gegensatz zum russischen Präsidenten Vladimir Putin, der Polen vor kurzem öffentlich eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vorgeworfen hatte. Putin ist deshalb nicht zur offiziellen Gedenkfeier am 27. Januar auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau eingeladen, dessen Befreiung sich 2020 zum 75. Mal jährt.
Im Juni 2018 hatte das polnische Parlament ein umstrittenes, bereits beschlossenes „Holocaust-Gesetz“ auf Druck Israels und der USA entschärft, das bis zu drei Jahre Haft für die Aussage vorgesehen hätte, das polnische Volk oder der polnische Staat trage eine Mitverantwortung für die Verbrechen des Dritten Reichs. Insbesondere wehrt sich der polnische Staat gegen die oft verwendete Bezeichnung „polnische Todeslager“ für von die von den Nationalsozialisten auf polnischem Gebiet errichteten Konzentrationslager. Das Gesetz war umstritten, weil damit auch die Nennung und Untersuchung von polnischer Mittäterschaft während der deutschen Besatzung verunmöglicht werden könnte, die nicht ins offizielle Geschichtsbild einer Nation von Widerstandskämpfern passt.
Die zentralen kirchlichen Veranstaltungen zum „Tag des Judentums“ am 17. Januar fanden in Gniezno und Poznań statt. Am Gedenkgottesdienst in Gniezno nahmen Erzbischof Wojciech Polak, der Oberrabbiner von Polen, Michael Schudrich, der israelische Botschafter in Polen, Alexander Ben Zvi, Weihbischof Rafał Markowski, der Vize-Kulturminister Jarosław Sellin und der emeritierte Erzbischof Henryk Muszyński teil. Für seine Verdienste in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit wurde Muszyński mit der „Menora des Dialogs“ geehrt.
In seiner Predigt wies Weihbischof Markowski darauf hin, dass in den ersten zwei Jahren des Lagers Auschwitz-Birkenau Polen die größte Gruppe der Insassen gewesen seien: „Das Lager war ein Ort der systematischen Vernichtung des polnischen Volks. Doch in den Jahren 1942–1944 wurde es im Rahmen der ‚Endlösung der jüdischen Frage’ zum Ort der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung. Mitte 1942 stellten die Juden die Mehrheit der Insassen und die Lagerwächter behandelten sie mit der größten Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit.“ Mit der Frage, wie es im Herzen des christlichen Europas zu der massenhaften Ausrottung von ca. 1,1 Mio. Juden gekommen sei, habe sich das Zweite Vatikanische Konzil auseinandergesetzt und habe Akte des Hasses, der Verfolgung und des Antisemitismus in der Deklaration Nostra aetate eindeutig als gegen den Geist des Evangeliums und den Willen Christi gerichtete verurteilt.
Zum „Tag des Judentums“ gab es in vielen polnischen Städten Veranstaltungen. Mit Blick auf den Leitvers des 23. Tags des Judentums in Polen – „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!“ (Ex 20, 8) – luden in der Industriemetropole Łódź Erzbischof Grzegorz Rys und Rabbi Dawid Szychowski am 17. Januar zum Gespräch über die religiösen Feiertage des jüdischen Sabbats und des christlichen Sonntags ein. Im zentralpolnischen Chmielnik fand ebenfalls eine Debatte zum „heiligen Tag“ mit der ersten Rabbinerin Polens, Małgorzata Kordowicz, dem methodistischen Pastor Wojciech Ostrowski und Weihbischof Markowski statt. Dabei wurde auch die 8. Ausgabe des Wettbewerbs zum Thema „Unsere jüdischen Nachbarn“ eröffnet, bei dem Schüler Arbeiten zur polnisch-jüdischen Geschichte einreichen können. Der Wettbewerb geht auf ein 2018 in Kielce publiziertes gleichnamiges Buch zurück.
Regula Zwahlen