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Polen: Bischöfe fordern Respekt gegenüber LGBT+-Menschen, sprechen aber weiter von „Gender-Ideologie“

03. September 2020

Bei ihrer jährlichen Vollversammlung haben die katholischen Bischöfe in Polen einen 27-seitigen „Standpunkt der Polnischen Bischofskonferenz zur LGBT+-Frage“ veröffentlicht und betont, dass der „Respekt vor Personen der LGBT+-Bewegung keine unkritische Akzeptanz ihrer Ansichten“ bedeute. Während „jeder Akt physischer oder verbaler Gewalt, jedes hooliganartige Verhalten und jede Aggression gegen LGBT+-Menschen“ als inakzeptabel verurteilt wird, bekräftigen die Bischöfe mit dem Dokument unter Berufung auf das Naturrecht und die göttliche Offenbarung ihre Ablehnung der „Gender-Ideologie“, die der „natürlichen sexuellen Orientierung“ widerspreche.

Die LGBT+-Szene reagiert enttäuscht auf das Dokument, das den darin angebotenen Dialog gleichzeitig zum Scheitern verurteile. Auch Marcin Dzierżanowski, einer der Gründer der polnischen Stiftung „Glaube und Regenbogen“, der sich vom Dokument eine neue Qualität des kirchlichen Diskurses in der LGBT-Frage erhofft hatte, zeigt sich negativ überrascht: Die wenigen positiven Aspekte, z.B. dass nun von Personen und nicht nur von einer Ideologie die Rede sei, könne nicht über die grundsätzliche Verachtung diesen Personen gegenüber hinwegtäuschen. Am meisten schockiert ihn die Aufforderung zur Heilung von Homosexuellen, wobei sich die Bischofskonferenz auf kein einziges Dokument des Vatikans berufen könne. Das „Global Network of Rainbow Catholics“ ist besorgt um die Sicherheit der verwundbaren LGBTIQ-Menschen in Polen nach der Wiederwahl von Präsident Andrzej Duda und verurteilt das neue Dokument als sehr schädlich, weil es gegen die kirchliche Lehre des Respekts, der Würde und des Mitleids verstoße.

Die Arbeit der Bischofskonferenz am Dokument begann vor etwa einem Jahr, als sich die Kirche öffentlich über die „Aufdrängung der LGBT-Ideologie“ beklagte und schließlich Ende Juli Teilnehmende an einem „Marsch für Gleichstellung“ in Białystok von rechten und katholischen Gruppierungen tätlich angegriffen wurden. Das nun vorgestellte Dokument ist in vier Kapitel gegliedert: „Sexualität von Mann und Frau aus christlicher Sicht“, „Die LGBT+-Bewegung in der demokratischen Gesellschaft“, „LGBT+-Personen in der katholischen Kirche“, und „Die Kirche in Bezug auf den LGBT+-Standpunkt in der Frage der Sexualerziehung von Kindern und Jugendlichen“.

Laut dem Dokument sei die Kirche offen für den Dialog mit jedem „Menschen guten Willens“, der die Wahrheit und das ewige Leben suche. Beispielhaft dafür sei Papst Franziskus, der auf LGBT+-Personen zugehe und für ihre Neigungen Verständnis zeige, aber nicht von der klaren kirchlichen Ablehnung der „Gender-Ideologie“ und von „Praktiken wider die Natur und Würde des Menschen“ abweiche. Während objektive biologische Kriterien negiert würden (Geschlecht), erhalte die sexuelle Neigung und subjektive gesellschaftliche-kulturelle Selbstbestimmung (Gender) höchste Priorität. Den Ursprung der LGBT+-Bewegung verortet das Dokument in der sog. „sexuellen Revolution“ gegen die traditionelle Moral: die sexuelle Komplementarität und Berufung zur Elternschaft. Zwar habe es diese Neigungen schon immer gegeben, sie seien nun aber vom privaten in den öffentlichen Bereich gelangt und verlangten gleiche Rechte. Der biologische Unterschied zwischen Mann und Frau sei aber gemäß der christlichen Anthropologie für die menschliche Identität konstitutiv. Die kulturellen Veränderungen in Bezug auf die menschliche Sexualität hätten jedoch auch positive Folgen, vor allem „eine größere Sensibilität für Frauenrechte und Gleichstellung“ in Bezug auf Löhne, Familienarbeit, Schutz vor häuslicher Gewalt und Belästigung.

Die Kirche respektiere die Autonomie der demokratischen Ordnung, stehe aber zu universalen moralischen Prinzipien in Bezug auf die Würde des Menschen und wehre sich gegen totalitäre Tendenzen einer modischen Ideologie der Mehrheit. Die LGBT+-Bewegung arbeite u. a. durch Beeinflussung der Sexualerziehung auf eine „sittlich-kulturelle Transformation hin, indem sie „die angebliche Attraktivität von Scheidungen, Verrat, sexueller Zügellosigkeit fördere und Treue, Jungfräulichkeit, Reinheit und Religiosität lächerlich mache“.

Katholiken, die auf Probleme von LGBT+-Personen hinwiesen und an „Regenbogen-Märschen“ teilnehmen, gehe es aber nicht um eine kulturelle Revolution, sondern um den „Einsatz gegen Gewalt, Mobbing, Stigmatisierung und Ausschluss aus der Gesellschaft, oder aus der eigenen Familie“ und für die demokratisch verbürgten Grundrechte dieser Personen. Insofern seien physische und verbale Angriffe auf LGBT+-Personen zu verurteilen, aber „auch alle anderen Bürger dürfen im vorgesehenen rechtlichen Rahmen ihre Postulate zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft äußern und auf demokratischem Wege realisieren“. Gemeint ist damit u. a. die Verteidigung der Sicht der heterosexuellen Ehe als Fundament einer gesunden Gesellschaft.

Auf die Herausforderungen der LGBT+-Bewegung möchte die Kirche mit Beratungsstellen für Personen reagieren, die „den Wunsch verspüren, ihre sexuelle Gesundheit und natürliche sexuelle Orientierung zu heilen“. Diese Vorschläge seien zwar in den LGBT+-Kreisen „nicht politisch korrekt“, man könne aber die Zeugnisse geheilter Personen nicht leugnen. Außerdem wollen „diese Aussagen in Einzelfällen keine neuen Wunden zufügen, aber alle Personen, die Heilung suchen, ermutigen, diesen Weg zu gehen“.

Bei der Bewertung der Gender-Ideologie, Homosexualität und Transsexualität unterscheidet die Kirche zwischen der Veranlagung „ohne moralische Schuld“ und der inneren Anerkennung bzw. dem Ausleben der Veranlagung. Ihre Bewertung als „inneren Zwang“ lehne die katholische Kirche im Namen der menschlichen Freiheit und Würde klar ab, die in jedem Fall eine „Abkehr vom Bösen“ ermögliche. Da homosexuelle Akte gemäß dem kirchlichen Naturrecht Sünde sind, seien Menschen mit dieser Neigung zu einem „Leben in Reinheit“ und Enthaltung berufen.

Das Dokument nennt u. a. folgende konkrete Konsequenzen der kirchlichen Haltung: Ihre Homosexualität praktizierende oder „die Gay-Kultur unterstützende“ Personen sollen nicht zu Priesterseminaren und zur Ordination zugelassen werden. Jegliche Form der Annäherung einer homosexuellen Verbindung an die Ehe von Mann und Frau wird abgelehnt wie auch die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare. Ein lesbisches Paar darf ein Kind taufen, jedoch kann nur die biologische Mutter im Taufbuch genannt werden, während der Name des Vaters leer bleibt, falls er nicht bekannt ist. Geschlechtsumwandlungen werden als Verstümmelung der Person betrachtet, Transsexuelle dürfen jedoch zur Kirche gehören und die Sakramente empfangen, allerdings nicht, wenn das genetische Geschlecht eine wesentliche Rolle spielt: dies betrifft die Taufe, die Ordination und die Ehe. Das Dokument definiert diverse Fallbeispiele: So wird einer Person, die eine nicht umkehrbare Geschlechtsumwandlung hinter sich hat, die Taufe nicht verweigert, wenn sie in der Katechese diese Umwandlung bereut. Eine Frau, die das männliche Geschlecht angenommen hat, kann unter keinen Umständen ordiniert werden. Transsexuellen Personen kann auch nicht das Sakrament der Ehe gespendet werden. All diese Bestimmungen gelten jedoch nicht für geschlechtsspezifische Entwicklungsstörungen (Hermaphrodismus, Intersexualität). In diesen Fällen müsse die Medizin die am wenigsten invasive Weise bestimmen, um die sexuelle Identität der Person zu klären.

Was die Sexualerziehung betrifft, sei die Familie das natürliche Umfeld. Sie soll eine „Schule der Reinheit“, der Selbstbeherrschung und des Respekts sein und alle Dimensionen der Sexualität – die physische, psychische, emotionale, geistige und moralische – berücksichtigen. Die Kinder müssen durch ein familiäres Klima des Vertrauens und des offenen Dialogs vor Verderbnis (Pornographie, sexuelle Ausbeutung) bewahrt werden, und Schullehrer dürfen bei der Sexualerziehung keine Informationen vermitteln, die den moralischen Grundsätzen der Eltern widersprechen. Auch Katecheten sollen die Rolle der Eltern nicht ersetzen, sondern diese nur begleiten. Was die LGBT+-Frage betrifft, soll das Programm der Katechese die „respektvolle Haltung der Kirche gegenüber homosexuellen oder auch transsexuellen Personen vermitteln, ohne jedoch die moralische Bewertung dieses Verhaltens zu verschweigen“.

Regula Zwahlen