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Polen: Kirchen verurteilen antisemitische Aktion am Nationalfeiertag in Kalisz

18. November 2021

Die Polnische Bischofskonferenz und Vertreter der Kirchen und christlichen Gemeinschaften in Kalisz haben antisemitische Vorfälle zur Feier des polnischen Unabhängigkeitstags am 11. November in der Stadt Kalisz scharf verurteilt. Unter anderem wurde abends auf dem Marktplatz ostentativ eine Replik des „Statuts von Kalisz“ verbrannt. Der historische Judenschutzbrief war im Jahr 1264 in Kalisz erlassen worden und gewährte den Juden in Polen bis 1795 umfassende Rechte und den Schutz durch den Herrscher.

Am 12. November veröffentlichte Bischof Rafał Markowski, Vorsitzender des Komitees für den Dialog mit dem Judentum der Polnischen Bischofskonferenz, ein Kommuniqué, in dem er die Aktion aufs schärfste verurteilte. Er erinnerte an die jüngsten Aussagen von Papst Franziskus, dass die Bedrohung durch den Antisemitismus in Europa noch immer schwele und ausgelöscht werden müsse. Markowski zufolge haben „solche Einstellungen nichts mit Patriotismus zu tun. Sie untergraben die Würde des Nächsten und zerstören die soziale Ordnung und den Frieden. Sie stehen in direktem Widerspruch zum Evangelium und zur Lehre der Kirche. […] Wir möchten allen, die durch die Vorfälle in Kalisz verletzt wurden, unser Mitgefühl aussprechen.“

Kirchliche Vertreter aus Kalisz veröffentlichten ebenfalls eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie die Attacke auf die jüdische Gemeinschaft scharf verurteilten. Unterzeichnet wurde sie von Vertretern der römisch-katholischen, der altkatholischen, der evangelisch-augsburgischen, der orthodoxen, griechisch-katholischen Kirchen sowie Pastoren der Kirche Gottes in Christus und der Kirche „Wort des Lebens“.

Auch der polnische Präsident Andrzej Duda verurteilte die antisemitischen Vorfälle in Kalisz in einer Twitter-Meldung. Die Bezirksstaatsanwaltschaft von Kalisz teilte am 14. November mit, aufgrund Verbrechen im Zusammenhang mit Faschismus-Propaganda, Xenophobie, Rassismus oder religiöser Intoleranz zu ermitteln. Sie und die lokale Polizei waren zuvor stark dafür kritisiert worden, am Marsch selbst nicht eingeschritten zu sein. Am 13. November fand in Kalisz eine Gegendemonstration unter der Losung „Kalisz frei von Faschismus“ statt.

Am polnischen Unabhängigkeitstag marschieren seit Jahren zehntausende Nationalisten und Rechte durch Warschau, so auch in diesem Jahr begleitet von einem Großaufgebot der Polizei. Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat formal die Schirmherrschaft und Verantwortung für die umstrittene Veranstaltung übernommen und widersetzte sich damit dem Bürgermeister Warschaus, Rafał Trzaskowski, der sich unter anderem wegen der Corona-Pandemie gegen die Durchführung ausgesprochen hatte: Das Traurigste daran sei, „dass die Regierenden beschlossen haben, den Feiertag der Unabhängigkeit den extremen, nationalistischen Elementen zu überlassen“. Am Marsch nahmen keine offiziellen Regierungsvertreter teil, Duda hielt am Mittag in Warschau eine offizielle Militärparade zum Nationalfeiertag ab.

Das Statut von Kalisz von 1264 drohte u. a. mit Strafen für die Schändung von jüdischen Friedhöfen und Synagogen und für die Beschuldigung von Juden des Ritualmords, es regelte die Handelstätigkeit und sicherte den Juden Unantastbarkeit des Lebens und Besitzes zu.

Regula Zwahlen