Polen: Chefredakteur von Więż würdigt Pontifikat von Franziskus
„Papst Franziskus hat in der Kirche positive Veränderungen angestoßen,“ so resümiert Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der katholischen Quartalszeitschrift Więż, das zwölfjährige Pontifikat von Papst Franziskus. Anlässlich des Ablebens des Papstes wurde Nosowskis Text, der ursprünglich in der Frühjahrsausgabe erschienenen war, erneut publiziert. Die Frische des Pontifikats von Papst Franziskus werde das Leben, die Praxis und die Lehre der römisch-katholischen Kirche nachhaltig prägen, denn er habe Prozesse initiiert, ohne den Anspruch zu haben, diese selbst zu Ende zu bringen. Es sei Franziskus mit seiner Ausrichtung auf die Zukunft ohne Rückgriffe auf Muster der Vergangenheit darum gegangen, „neue Weinschläuche zu nähen, in die der neue ‚Wein‘ einer noch unbekannten neuen Ära gefüllt wird“. Nosowski nennt fünf Dimensionen kirchlicher Erneuerung, die nicht ignoriert werden könnten, auch wenn der Nachfolger von Franziskus einen anderen Kurs einschlagen werde.
Erstens, mehr Synodalität, weniger Hierarchie: Während Papst Benedikt XVI. noch damit für Begeisterung sorgte, dass er bei der Bischofssynode 2005 eine Stunde täglich für freie Diskussionen einführte (zuvor mussten alle Beiträge schriftlich im Voraus eingereicht werden), machte Franziskus die offene Diskussion zum Kern von Synodalität. Zudem nahmen nicht mehr nur Bischöfe, sondern auch einfache Geistliche, Ordensleute und Laien – Frauen und Männer – als Vollmitglieder an der Synode teil. Dies könnte laut Nosowski langfristig die Schaffung neuer kirchlicher Strukturen ermöglichen. Zweitens, Frauen an der Spitze kirchlicher Institutionen (Sr. Simona Brambilla als Präfektin des Dikasteriums für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens sowie Sr. Raffaela Petrini als Regierungschefin der Vatikanstadt) – das werde sich sicherlich auch auf die Personalentscheidungen in den Diözesen auswirken und langfristig Mentalitäten reformieren. Drittens, weniger kodexbasierte Moral, mehr geistliche Unterscheidungskraft gemäß einem Dialog des Gewissens: zu dieser Dimension gehöre die Möglichkeit des Zugangs zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene (gemäß der Enzyklika Amoris laetitia) und die Segnung von Paaren in nicht sakramentalen, einschließlich gleichgeschlechtlicher Verbindungen (in Fiducia supplicans). Der Papst habe hierzu keine lokalen Entscheidungen erzwungen, sie jedoch ermutigt. Nosowski zufolge versuchte jedoch die Polnische Bischofskonferenz in diesem Bereich, das Pontifikat von Franziskus auszusitzen, ohne dessen Empfehlungen anzuwenden. Viertens, ein Glaube, der sich seiner gesellschaftlichen Konsequenzen bewusst ist. Mit seinen Enzykliken Laudato si, Fratelli tutti und dem Apostolischen Schreiben Laudate Deum sei Franziskus weiter gegangen als die bekannte Soziallehre der Kirche, was die Bereiche Ökologie und Umgang mit Flüchtlingen betrifft. Gerade für Polen hieße das: eine „sozialere und weniger politische Kirche“ zu werden, „sich von der politischen Voreingenommenheit der institutionellen Kirche zu lösen und die drängenden realen sozialen Probleme anzuerkennen“. Fünftens, eine vereinte, aber dezentralisierte Kirche: Papst Franziskus ging es um die Erweiterung der Kompetenzen der Ortskirchen, die Beseitigung des „europäischen kirchlichen Kolonialismus“ und schließlich um die „bewusste Akzeptanz der Vielfalt in der Kirche“. Der Papst habe das gefördert, was Tomáš Halík als „Katholizität des kirchlichen Denkens und Handelns“ bezeichnet habe: Offenheit, Universalität, Gemeinsamkeit – im Gegensatz zum Katholizismus als Weltanschauung oder ideologische Grundlage: „In der Praxis bedeutet dies, dass man – auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens – seinen Standpunkt nicht verabsolutieren sollte. Selbst die Weisesten unter uns erkennen vermutlich bestimmte Aspekte der Multikrise nicht, die andere (manchmal ihre innerkirchlichen Gegner) erkennen. Das Streben nach Einheitlichkeit ist Ausdruck des weltanschaulichen Katholizismus – die Katholizität hingegen strebt nach Einheit in der Vielfalt.“ All das sei ein wichtiger Leitfaden für alle, die sich auch künftig in der Kirche engagieren wollen: „Das Pontifikat von Franziskus sagt all diesen Menschen fünf Dinge. Zunächst einmal: Entgegen dem Anschein ist ein Wandel in der Kirche möglich. Zweitens: Finde Deinen Platz in diesem Prozess. Drittens: Handle nicht allein, denn der Glaube ist keine reine Privatsache (wenn auch eine zutiefst persönliche). Viertens: Ermögliche anderen, aus einem anderen Blickwinkel zu beginnen. Fünftens: Denke daran, dass Perfektion nie erreicht werden kann, handle also Schritt für Schritt.“
Explizit nicht ausführen will Nosowski in seinem Beitrag die umstrittenen Aspekte des Pontifikats von Franziskus, die er aber benennt: die Ostpolitik des Vatikans („ebenso falsch wie wirkungslos“), die „übermäßig naive Barmherzigkeit gegenüber einigen einflussreichen Freunden ([…]), die schwerer Verbrechen verdächtigt werden“; der „skandalöse Mangel an Ermächtigung von Opfern sexuellen Missbrauchs“ und die Verdrängung der Anhänger der tridentinischen Liturgie. In diesen Bereichen sei eine Fortsetzung der Linie von Franziskus nicht ratsam.
Regula M. Zwahlen