Bosnien-Herzegowina: Gedenken an den Völkermord in Srebrenica vor 30 Jahren
Tausende Menschen haben am 11. Juli in Potočari der Opfer des Völkermords von Srebrenica vor 30 Jahren gedacht. Munira Šubašić, Präsidentin der Vereinigung „Mütter von Srebrenica“, sprach vom fortdauernden Schmerz der Hinterbliebenen: „30 Jahre tragen wir den Schmerz in unseren Herzen. 30 Jahre hören wir Lügen, sehen wir Hass und das Verherrlichen von Kriegsverbrechen. Unsere Kinder wurden ermordet, weil sie einen anderen Namen und Vornamen hatten. Weil sie Muslime waren.“ Eindringlich rief sie die Anwesenden, darunter zahlreiche Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft, dazu auf, sich Hass und Intoleranz in den Weg zu stellen. „Europa, wach auf! Es ist das 21. Jahrhundert. Doch statt Gerechtigkeit sehen wir wieder das Erstarken des Faschismus. Wie weit wird das noch gehen?“
Am 11. Juli 1995 hatten Einheiten der serbisch-bosnischen Armee unter dem Kommando von General Ratko Mladić die UN-Schutzzone Srebrenica eingenommen und in den folgenden Tagen einen Massenmord verübt, dem über 8000 muslimische Jungen und Männer zum Opfer fielen. In der still gelegten Autobatterie-Fabrik in Potočari, einem Dorf ca. 6 km nordwestlich von Srebrenica, war im Sommer 1995 das niederländische UN-Bataillon stationiert, und dort hatte die muslimische Bevölkerung Schutz vor den anrückenden serbischen Truppen gesucht. Heute befindet sich in Potočari die offizielle Gedenkstätte und der Gedenkfriedhof für die Opfer des Völkermords. Dort werden alljährlich am 11. Juli die sterblichen Überreste der im Verlauf des vergangenen Jahres identifizierten Opfer bestattet. Dieses Jahr wurden die sterblichen Überreste von sieben Opfern zu Grabe getragen. Bis heute sind insgesamt 6772 Opfer auf dem Gedenkfriedhof in Potočari bestattet, 250 sind auf Wunsch ihrer Angehörigen an anderen Orten begraben und mehr als 1000 Opfer gelten noch immer als vermisst bzw. konnten noch nicht identifiziert werden. Die langwierige Suche nach den sterblichen Überresten der Opfer rührt daher, weil die bosnisch-serbischen Einheiten die Leichname der Ermordeten zunächst in sog. Primär- und später in Sekundärgräbern verscharrten, um den Völkermord zu verschleiern.
Das Oberhaupt der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Reisu-l-ulema Husein Kavazović, mahnte in seiner Gedenkrede in Potočari, dass das Böse nicht ruht: „Wir leben in einer Zeit des Anwachsens des Bösen und des Abstreitens des Genozids. Die Protagonisten des Bösen hoffen, dass sie mit Lügen [...] die Unterschiede zwischen Opfer und Täter verwischen können. [...] Niemals und mitnichten! Tief in uns ist die unbeugsame Kraft verwurzelt, die uns gelehrt hat, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden.“ Der katholische Erzbischof von Sarajevo, Tomo Vukšić, drückte den Familien und Freunden der Opfer in einer vorab veröffentlichen Botschaft seine Anteilnahme und Verbundenheit aus: „Die Gräber der Opfer sind eine ständige Mahnung vor dem Übel des Kriegs. Sie sind auch ein inständiges Gebet für den Frieden und ein lauter Aufruf zur Beendigung aller Kriegskonflikte und aller Formen von Gewalt gegen menschliches Leben“, so Vukšić.
Munira Šubašić dankte in ihrer Rede auch allen Ländern, die am 23. Mai 2024 in der UN-Vollversammlung für die Einführung eines internationalen Gedenktags für die Opfer des Völkermords gestimmt hatten. Den Ländern, die dagegen gestimmt hatten, warf sie moralisches Versagen vor: „Mögen sie in Dunkelheit leben. Wir Mütter werden ihnen niemals vergeben und niemals vergessen.“ Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hatte im Vorfeld der Abstimmung in New York eine regelrechte Kampagne gegen die Srebrenica-Resolution entfacht und den Initianten der Resolution vorgeworfen, die Serben damit als „genozidales Volk“ brandmarken zu wollen. Unterstützt wurde er dabei von der Kirchenleitung der Serbischen Orthodoxen Kirche. Anlässlich des 30. Jahrestags des Massakers von Srebrenica, das vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und vom Internationalen Gerichtshof (IGH) als Völkermord klassifiziert wurde, sprach Vučić von einem „furchtbaren Verbrechen“ und drückte den Angehörigen der Opfer seine Anteilnahme aus. Von der Serbischen Orthodoxen Kirche gab es keine offizielle Stellungnahme zum Gedenktag. Auf dem Platz der Republik im Zentrum Belgrads versammelten sich am 11. Juli Bürger:innen und Aktivisten und zündeten Kerzen an, um an die Opfer des Massenmords zu gedenken. Zudem kritisierten sie die serbische Regierung für deren Nicht-Anerkennung des Verbrechens als Genozid. (NÖK)