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Internationale Konferenz für orthodoxe Theologie diskutiert Herausforderungen der Zeit

25. Januar 2023

Vom 11. bis 14. Januar 2023 fand in der griechischen Stadt Volos die zweite Konferenz der International Orthodox Theological Association (IOTA) zum Thema „Mission und die Orthodoxe Kirche“ statt. Die Konferenz wurde von Metropolit Ignatius (Georgakopoulos) der griechisch-orthodoxen Metropolie Demetrias und der Volos Academy for Theological Studies ausgerichtet. Metropolit Ignatius sprach in seiner Willkommensrede die akuten Probleme der Gegenwart an: den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Coronavirus-Pandemie, Fundamentalismus, die Klimakrise und ökonomische Unsicherheit. Angesichts des Kriegs rief er die orthodoxe Welt dazu auf, der Welt ein Wort der Hoffnung zu bieten. Pantelis Kalaitzidis, Direktor der Volos Academy for Theological Studies, betonte, dass mit Mission eine Theologie gemeint sei, die sich auf die soziale und kulturelle Realität ihrer Zeit einlasse; die Kirche dürfe kein Inseldasein führen, sondern solle in der Welt und der Geschichte agieren.

Zum Thema „Mission und die Orthodoxe Kirche“ hielt Metropolit Ambrosios (Zographos) von Korea einen eindringlichen Eröffnungsvortrag, in dem er in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine beklagte, dass „die meisten orthodoxen Oberhäupter dabei versagt haben, diesen diabolischen Krieg einstimmig zu verurteilen,“ oder nur schon eine öffentliche Antikriegs-Haltung einzunehmen. Wurzel des aktuellen Kriegsübels sei die „Häresie des Ethnophyletismus“, welche die nationale Identität über die christliche Identität stelle und Nation und Kirche verschmelze. Das sei „nichts Geringeres als die größte Bedrohung der orthodoxen Einheit der Kirche. […] Ethnophyletismus betrübt die Orthodoxen, schockiert die Heterodoxen und freut die Atheisten!“

Ambrosius sprach aus seiner Erfahrung in Korea, wo die ethnisch gemischte Orthodoxe Kirche seit 1957 unter der Ägide des Ökumenischen Patriarchats steht, jedoch seit 2018 durch ein neu errichtetes Südostasien-Exarchat des Moskauer Patriarchats Konkurrenz erfährt (s. RGOW 10/2019). Dasselbe Problem stellt sich mit dem Ende Dezember 2021 gegründeten Exarchat für Afrika der Russischen Orthodoxen Kirche, aber auch seit Jahrzehnten in der orthodoxen Diaspora in Europa und Amerika, wo Orthodoxe weiterhin in separaten Nationalkirchen Gottesdienste feiern. Ambrosios forderte die Konferenzteilnehmer:innen mit der Aussage heraus: „Es gibt [unter Orthodoxen] kein tiefes Bedürfnis, sich mit dem Ethnophyletismus in der Diaspora auseinanderzusetzen, weil dies eine geistige Revolution innerhalb unserer Identitäten erfordern würde.“

Die Thematik der nationalen und kulturellen Identität, einschließlich der Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Russischen Welt“, wurde in mehreren Panels (von insgesamt 95 Panels mit 350 Vorträgen) weiter diskutiert, u.a. in einer lebhaften Präsentation des von Hans-Peter Großhans (Exzellenzcluster „Religion und Politik“ Universität Münster) und Pantelis Kalaitzidis herausgegebenen Buches „Politics, Society and Culture in Orthodox Theology in a Global Age“ mit Diskussionsbeiträgen von Aristotle Papanikolaou (Fordham University) und Jennifer Wasmuth (Universität Göttingen). Was das Verhältnis orthodoxer Kirchen zu den demokratischen Staaten Osteuropas betrifft, war in der Debatte angesichts eines zunehmenden Nationalismus eine gewisse Ernüchterung spürbar, die hoffentlich dennoch dazu anspornt, die seit Jahrzehnten durchaus vorhandenen Ansätze eines konstruktiven Umgangs der orthodoxen Theologie und Kirche mit pluralistischen, demokratischen Gesellschaften bekannter zu machen.

In weiteren Panels und Diskussionsforen wurden vielfältige Themen diskutiert: Frauen in der Kirche, Wissenschaft und Theologie, Politische Theologie, Säkularisierung, Kirche und die Pandemie, Naturtheologie und Ökologie, Kirchenrecht, Bildung und Erziehung, Anthropologie und (Sexual-)Ethik, historische Forschungen (Byzantinistik, Patristik (auch mit Beiträgen zu „Kirchenmüttern“)), theologische Konzepte (Theosis, Askese), Liturgie, Ikonographie und Ästhetik, Friedensethik, Versöhnung und Gerechtigkeit, ökumenische Dialoge und das sozialethische Dokument „Für das Leben der Welt“ von 2020. Auf großes Interesse stießen auch Buchpräsentationen mit anwesenden Autorinnen und Autoren, so zum Beispiel: The Moralist International: Russia in the Global Culture Wars (Kristina Stoeckl und Dmitry Uzlaner), Orthodox Tradition and Human Sexuality (hg. Thomas Arentzen, Ashley M. Purpura, Aristotle Papanikolaou), Women and Ordination in the Orthodox Church (hg. Gabrielle Thomas, Elena Narinskaya).

Mit der Teilnahme von über 400 Akademikerinnen und Akademikern aus 45 Ländern von sechs Kontinenten übertraf die Konferenz die Teilnehmerzahl der ersten IOTA-Konferenz im Januar 2019 in der rumänischen Stadt Iaşi und zeigte, dass die im Rahmen des Panorthodoxen Konzils vom Juni 2016 auf Kreta entstandene Initiative einem großen Bedürfnis nach verstärktem internationalem Austausch über Theologie und Praxis der Orthodoxen Kirche entspricht. Gemäß Paul Gavrilyuk, Präsident von IOTA, will die Vereinigung diesen Forschungsaustausch „im Kontext der orthodoxen Tradition fördern, um Christus und der Kirche zu dienen; es geht darum, die Mauern der Jurisdiktion einzureißen, die wir in unserer kollektiven Vorstellung errichtet haben, um einander in der Freiheit der christlichen Nachfolge zu begegnen; es geht darum, aus den Silos spezifischer akademischer Disziplinen auszubrechen, um über die schwierigsten Fragen der heutigen Zeit mit Blick auf die Verwandlung der Kultur durch die Kraft des Evangeliums nachzudenken; schließlich ist es ein Ort, an dem alle orthodoxen Christen und unsere ökumenischen Freunde einen Vorgeschmack auf die ‚Konziliarität von unten‘ erhalten können.“

An der Konferenz nahmen acht orthodoxe Bischöfe, darunter auch der orientalischen Orthodoxie, sowie katholische und protestantische Forscherinnen und Kirchenvertreter teil, denn laut Gavrilyuk kann „orthodoxe Theologie nicht in Isolation betrieben werden“.

2025 organisiert IOTA eine Konferenz zum „Glauben von Nicaea“ anlässlich des 1700. Jahrestages des ersten ökumenischen Konzils von 325 n. Chr. Die nächste IOTA-Vollversammlung ist 2027 in Georgien geplant.

Regula Zwahlen

Iota 5449 Foto: Runder Tisch zum Thema „The Place of Religion in the Public Sphere” mit Aristotle Papanikolaou (USA), Roman Sigov (Ukraine), Regina Elsner (Deutschland) und José Casanova (USA).