„Unsere Aufgabe ist es, diejenigen aufzurütteln, die den Gedanken an den Krieg in den Hinterhof ihres Bewusstseins verdrängen“
Anna Krjutschkova, Journalistin aus Belarus, Mitglied der Belarusischen Journalistenvereinigung, im Gespräch mit den Verfassern der „Weihnachtsdeklaration russischer Christen und Friedensstifter“
Vor eineinhalb Jahren wurde die Weihnachtsdeklaration russischer Christen veröffentlicht. Die Autoren bezeichneten den militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine als ein „Verbrechen gegen die göttlichen Gebote“, verfassten einen Friedensgebetstext und schlugen fünf Schritte vor, die Christen tun können, um dem Krieg entgegenzutreten:
- Sich nicht abwenden. Das Geschehen mit aller Ernsthaftigkeit und Verantwortung wahrnehmen, die laufenden Ereignisse nicht aus der Sicht irdischer Werte bewerten, sondern aus der Sicht der Lehre Jesu Christi.
- Für ein Ende des Kriegs beten. Gott darum bitten, unsere Mitbürger, staatliche und kirchliche Führungspersonen zur Umkehr und Buße zu bewegen.
- Einspruch erheben. Je nach Risiko in der eigenen Lage das Böse entlarven und für einen unverzüglichen Rückzug der Armee aus der Ukraine und das Ende dieses Kriegs eintreten.
- Gewaltlosen Widerstand gegen die Mobilisierung leisten. Nahestehende und Bekannte davon überzeugen, sich in keiner Weise an diesem Krieg zu beteiligen; denjenigen helfen, die sich dem Kriegsdienst entziehen.
- Humanitäre Hilfe leisten. Ukrainischen Flüchtlingen helfen, wo auch immer sie sind. Mit allen möglichen Mitteln diejenigen unterstützen, die Opfer dieses Kriegs geworden sind.
Zu den Autoren der Deklaration zählen die beiden russischen Mittelschullehrer Boris und Alexej und der Hochschullehrer Daniil. Boris und Daniil sind orthodox, Alexej ist Protestant (die Namen sind zur Sicherheit der Gesprächspartner geändert). Ich habe sie gefragt, warum ihnen, im Gegensatz zu vielen Russen, sofort klar war, dass dieser Krieg ein Verbrechen ist, welcher der fünf vorgeschlagenen Schritte zur Friedensstiftung der schwierigste ist, warum es heute schwierig ist, ein Friedensgebet zu schreiben, und was aus der neuen Generation in Russland wird.
Wie ist die Idee der Deklaration entstanden?
Boris: Nach Kriegsbeginn begann Alexej, eine kleine Gruppe christlicher Bekannter zu versammeln. Fast sofort nahmen diese Treffen folgendes Format an: Gebet, Textlesung und Gespräch. Wir lasen zum Beispiel die Barmer Erklärung und studierten die Geschichte des Widerstands der Bekennenden Kirche in Deutschland. An einem dieser Treffen entschieden wir uns, eine eigene Deklaration zu verfassen. Wir schrieben sie, verschickten den Entwurf an Bekannte zur Erörterung. Dann machten wir eine Website, einen Telegram-Kanal und produzierten Filme auf YouTube. Wir wollten, dass man die Deklaration breit diskutiert. Kollegen aus den baltischen Ländern wandten ein, wir sollten Molotow-Cocktails nehmen und damit auf den Roten Platz gehen und nicht zu christlicher Liebe aufrufen, und ich blockierte einige Aktivisten, die dazu aufriefen für den Ruhm der Ukraine zu töten.
Als die Deklaration publiziert wurde, schrieben etwa 20 Medien darüber. Die Nachfrage nach Antworten auf die Frage, was Christen über den Krieg denken, war in der Gesellschaft groß. Darauf folgte die Frage: Wie weiter?
Wir begannen ein Friedensgebet zu verfassen. Darauf verwendeten wir auch ziemlich viel Zeit: wir diskutierten, feilten am Text. Das Gebet wuchs mit neuen Fürbitten. Nach dem Tod Alexej Navalnyjs zum Beispiel kam eine Fürbitte für ihn und andere politische Häftlinge hinzu.
Mit unserem Gebet beten wir für die Gefallenen aller Seiten, wir nennen dabei auch die Regionen, aus denen sie stammen. Wir beten bei tragischen Ereignissen, z. B. beim Terrorakt in der Krokus-City oder einem weiteren Raketeneinschlag in einer ukrainischen Stadt.
Mit der Zeit tauchten Leute auf, die darum baten, dieses Gebet auch auf Kirchenslawisch zu verfassen. Die Protestanten baten darum, nicht für Verstorbene zu beten, worauf wir für sie eine Variante verfassten, bei der man für die Verwandten der Verstorbenen betet. Es gibt noch eine gekürzte Variante für diejenigen, die Russland unterstützen, aber dazu bereit sind, für alle Verstorbenen zu beten. Bei dieser Variante fehlen das Gebet für die Oppositionellen und die Fürbitte, dass die russische Regierung umdenkt. Dies erscheint uns wichtig, denn allein schon die Fähigkeit, für die gefallenen Ukrainer zu beten, ist bereits ein Schritt.
Das Verfassen des Gebetstexts war schwierig, es gab sehr viele Dinge zu berücksichtigen. Zum Beispiel: Wie zählt man die Regionen, in denen Menschen sterben, so auf, dass die ukrainischen und russischen Territorien klar erkennbar sind, es aber nicht wie eine Spaltung der Menschen wirkt? Wir fanden eine Variante, die bisher scheinbar alle befriedigt: „Wir bitten Dich für diejenigen, die in den Oblasten Charkow, Cherson, Donezk, Lugansk, Kiew, Tschernigow, Lwow, Poltawa, Suma, Nikolaevsk, Zaporozhzhija, Dnepropetrovsk und auf der Krim wie auch in den Oblasten Belgorod, Brjansk, Kursk und Krasnodar‘ unter Beschuss gekommen sind.“
Aleksej: In unserem Team ist ein ukrainischer Bürger, der uns hilft und erklärt, wie das in der Ukraine ankommt. Unter vielen gläubigen Russen, die gegen den Krieg sind, gibt es den Wunsch, die Ukrainer als Brüder zu bezeichnen, doch die Ukrainer lehnen das rundweg ab. Wir versuchen, das zu berücksichtigen.
Daniil: Man nennt das eine Kultur des Dialogs. Sogar auf unserer Mikroebene versuchen wir sie zu fördern, indem wir über den Text des Gebets und der Deklaration diskutieren. Öffnet man eine Yandex-Karte, gibt es dort keine Landesgrenzen. Aufgrund ihrer universalen Menschenwürde sind Menschen Siedlungspunkte auf Yandex-Karten, zwischen ihnen gibt es keinen Unterschied. Die christliche Botschaft, die wir verbreiten, ist, gegen die Entmenschlichung aufzutreten, sogar auf der Ebene der Einführung administrativer Grenzen im Gebetstext. Für mich ist ein Gebet ideal, in dem keine Länder genannt werden, weil das nicht wichtig ist, es ist jedoch wichtig zu betonen, dass das alles Menschen sind.
Alexej: Es braucht ständig Weisheit, um keine propagandistischen Spielchen zu spielen, aber auch niemanden zu erniedrigen oder zu verallgemeinern. Das Wichtigste ist die ständige Suche nach dem Dialog. Ich erinnere mich, wie wir am Todestag von Alexej Navalnyj darüber stritten, wie wir das im Gebet erwähnen sollen: haben sie ihn getötet, zu Tode gequält, ist er gestorben oder umgekommen? Ich hatte starke Emotionen, und ich trat dafür ein zu schreiben, dass sie ihn getötet haben. Doch wir mussten einen Kompromiss finden, also hat man ihn „zu Tode gequält“ (russ. замучили).
Boris: Aufgrund solcher Erörterungen wird unsere Position reflektierter und nicht einfach eine Übermittlung einer Losung. Uns ist wichtig, dass auch Menschen mit unseren Worten beten können, die mit uns in gewissen Fragen nicht einverstanden sind. Manchmal ist eine weniger harte Konkretheit eher ein positiveres Merkmal als ein negatives.
Welche Zwischenresultate des Projekts gibt es nach eineinhalb Jahren?
Alexej: Dazu ein Beispiel: Vor kurzem sah ein Journalist am Geburtstag von Alexej Navalnyj, wie unser Gebet an seinem Grab verlesen wurde. Wir kennen diese Menschen nicht, wir wissen nicht, woher sie das Gebet haben. Meiner Ansicht nach ist das ein aufschlussreicher Moment. Zudem haben wir eine separate Nachforschungsabteilung zusammen mit der Bewegung „Christen gegen den Krieg“. Wir haben als erste eine Liste der im Krieg gefallenen Priester und Pastoren veröffentlicht, ein solches Monitoring macht sonst niemand. Wir sammeln eine Liste aller Christinnen und Christen, die heute in Russland in Unfreiheit sind, Kriegsdienstverweigerer aus Glaubensgründen, verstorbene Kinder. Das heißt wir sammeln alle Daten, die für Journalisten und die Gesellschaft wichtig sind.
In der Deklaration schlagen sie fünf friedensstiftende Schritte vor. Welcher Schritt ist für euch persönlich der schwierigste?
Boris: Keine Angst zu haben, gegen den Krieg Einspruch zu erheben. Bisher ist unklar, ob wir genug dagegen auftreten oder nicht.
Alexej: Es gibt eine sehr feine Linie zwischen Ängstlichkeit und Weisheit; ob jemand schweigt, weil es so bequem ist (wegen der Arbeit, des Lohns), oder ob jemand schweigt, weil er so mehr Gutes als Böses tun kann. Ich als Historiker kann sagen, dass das eine ewige Frage Russlands ist, besonders der sowjetischen Dissidenten: Wo sagt man ein klares „nein“, und wo hilft man im Geheimen. Deshalb ist für mich der dritte Punkt der schwierigste.
Daniil: Für mich ist der Fall der humanitären Hilfe am schwierigsten. In Russland engagieren sich sehr viele Leute in diesem Bereich, sie helfen den betroffenen Bewohnern in den Oblasten Donezk und Lugansk von der russischen Frontlinie aus, doch oft wird das mit der Hilfe für die Armee vermischt. Für mich ist das ethisch ein großes Problem. Wenn man eine Decke schickt, ist das natürlich keine Waffe, aber es ist eine Unterstützung für Leute, die gekommen sind, um auf fremdem Land Menschen zu töten. Wir führen deswegen große Diskussionen: muss man jedem Menschen in Not helfen? Die für mich passendste Lösung wäre es, humanitäre Hilfe ausschließlich an die Zivilbevölkerung zu leisten.
Dass dieser Krieg ein Verbrechen ist – habt ihr das verstanden, weil ihr Christen oder weil ihr junge gebildete Menschen seid?
Daniil: Es ist eine Frage des sozialen Umfelds. Wenn du in bedeutendem Maß mit bestimmten, also christlichen Werten lebst, dann verstehst du in der konkreten Situation, dass es so nicht gehen kann, und du daran nicht teilnehmen solltest. In Kreisen, wo der Hauptwert zum Beispiel der Staat ist, zieht man andere Schlussfolgerungen.
Boris: Meine säkulare Bildung und mein Freundeskreis haben mir geholfen zu verstehen, dass dieser Krieg ein Verbrechen ist. Unterstützung für meine Position finde ich eher bei säkularen Rednern wie z. B. [bei der Politologin] Ekaterina Schulman als bei kirchlichen. Doch das Christentum vermittelt eine Routine gegen den Hass. Dank des Christentums verstehe ich die Wichtigkeit, zwischen Sünde und dem Sünder zu unterscheiden. Es ist eine Sache, ob der Hass auf Putin, Schojgu oder andere abstrakte Figuren lodert, oder ob deine engen Bekannten den Krieg unterstützen. Hier lässt sich leicht in die Verallgemeinerung abgleiten: Wer den Krieg unterstützt, ist ein Monster, und wer ihn nicht unterstützt, darf den anderen für alles mögliche kritisieren. Die Fähigkeit zur Differenzierung ist wichtig: Ich weiß, dass du mein Papa bist, du mich liebst, doch in diesem speziellen Aspekt hast du überhaupt nicht recht. Ein Verständnis dafür, dass ein Mensch in einem Aspekt unrecht hat, darüber hinaus aber ein guter Mensch sein kann, ist sehr schwierig, aber sehr wichtig.
Alexej: Für mich wurde die Unterstützung des Kriegs, die ich in der Kirche und unter meinen Lehrern angetroffen habe, die ich für gebildete Menschen hielt, zu einer großen Krise. Die Deklaration ist teilweise eine Antwort auf diese Krise. Ich habe mich ständig gefragt: vielleicht sind nicht sie, sondern ich der Verrückte?
Für mich sind Bildung und Christentum völlig verschieden geworden. Ich habe verstanden, dass man sich in Russland im Verständnis Christi zutiefst geirrt hat, und dass es wichtig ist, das zu verändern. Wie man das macht, kann ich mir nicht vorstellen. Als Mensch, der Geschichte und Politik studiert hat, habe ich erkannt, dass ich in meinem Unterricht oft Aggression und Krieg gerechtfertigt habe. Wenn du lehrst, dass Peter I. St. Petersburg gebaut hat, denkst du nicht daran, wie viele Menschen er dafür umgebracht hat, wir haben das nicht in Kategorien von Gut und Böse betrachtet. Jetzt lehre ich die Kinder, dass es in jedem Krieg Böses gibt, wer auch immer ihn gewinnt oder verliert. Ich wurde Pazifist und habe verstanden, dass das ein grundlegender Aspekt des Christentums ist, den die Kirche irgendwo auf dem Weg verloren hat. Jesus hat niemanden getötet und hat keinerlei Gewalt angewandt. Jetzt verstehe ich, warum man Alexander Men und Tolstoj verfolgt hat.
Daniil: Wie Alexej habe ich bemerkt, dass man gewisse Episoden der Gewalt und Kriege als selbstverständlich betrachtet, man ist mit ihnen in der Schule aufgewachsen und hat über die kollateralen Verluste nicht nachgedacht. Vor kurzem habe ich von der Deportation der Ingermanlandfinnen erfahren. Ich wusste, dass sie die schönen Kirchen auf der karelischen Landenge gebaut hatten, habe mich aber nie gefragt, wo diese Finnen danach geblieben sind. Fast alle nationalen Minderheiten [der UdSSR] haben Repressionen erlitten. Wir haben begonnen, das sowjetische Erbe völlig anders zu bewerten. Früher hat mich vieles nicht bewegt: Ja, das gab es in unserer Geschichte, es ist eine Etappe der Vergangenheit, ihr gegenüber sollte man sich mit Ehrfurcht verhalten. Doch heute verstehe ich, dass alle diese Denkmäler, die man gestürzt hat, wieder aufgerichtet werden und ihre Größe wiedererlangen werden […]. Wir sind in unserer antisowjetischen Haltung nach dem 24. Februar 2022 radikaler geworden.
In der Deklaration findet sich eine theologische Beilage mit euren Argumenten gegen den Krieg. Habt ihr die Erfahrung gemacht, dass ihr Z-Patrioten [Kriegsbefürworter] und ihre Sympathisanten überzeugen konntet? Ist das möglich?
Boris: Wir haben die Deklaration nicht für Z-Patrioten geschrieben, weil es sehr schwer ist, sie zu erreichen, wenn kein Wunder der Transformation geschieht. Unsere Argumente sind keine Bescheinigung mit der Unterschrift Jesu Christi. Die Deklaration ist ein Bekenntnis unseres Glaubens und keine Liste von Beweisen, dass wir recht haben. Unsere Aufgabe ist es, diejenigen aufzurütteln, denen dieser Krieg nicht gefällt und die den Gedanken an ihn in den Hinterhof ihres Bewusstseins verdrängen. Das ist in Russland die Mehrheit. Wir wollen den Christen zeigen, dass die Frage des Kriegs keine ist, die man umgehen kann, und dass Schweigen einer Teilnahme gleichkommt. Ich kenne persönlich viele gute Priester, die dieser Frage ausweichen, teils weil sie sich nicht damit befassen wollen, teils weil sie sich davor fürchten. Wenn du dich nämlich damit befasst, entsteht eine Menge von Fragen, z. B., was man Leuten sagen soll, die um den Segen für ihre Kriegsteilnahme bitten?
Alexej: Gemäß meinen Beobachtungen sind viele kirchliche Mitarbeiter, die früher gegen den Krieg waren, jetzt dafür oder fast dafür. Meiner Ansicht nach ist das deswegen so, weil die Regierung die Kirche davon überzeugt hat, diese Frage nicht anzusprechen, nicht darüber zu sprechen. Deshalb ist die Deklaration wichtig, damit ein Dialog entsteht. Ethische Fragen gibt es sehr viele, deren Erörterung findet aber kam statt, was eher der Regierung in die Hände spielt als den Kriegsgegnern.
Daniil: Ich habe eine andere Ansicht. Wenn man innerhalb der Kirche dieser Diskussion ständig Zeit widmet, führt das zu gar nichts Gutem. Ich habe Bekannte, die die Regierung unterstützen, doch habe ich zu ihnen eine normale Beziehung, weil wir dieses Thema aus Respekt voreinander nicht ansprechen. Einen anderen Freund von mir, der eine klare Pro-Kriegshaltung gehabt hatte, hat das Verbot und die Aberkennung der Priesterwürde von Priester Alexej Uminskij [im Februar 2024] ernüchtert. Daraufhin hat er die Situation völlig umbewertet. Deshalb denke ich, dass man dem Schock die Gelegenheit lassen muss, selbst zu wirken. Das wird das beste Argument sein.
Boris: Ich versuche eine Synthese: Eine weitere Aufgabe unserer Deklaration besteht darin zu zeigen, dass die Menschen nicht allein sind. In Großstädten kann man Gleichgesinnte finden, aber in einer kleinen, abgelegenen Gemeinde mit einem engstirnigen Vorsteher, in der alle für den Krieg sind, ist es schwierig, allein seine Werte zu verteidigen. Deshalb geht es hier nicht darum, in jeder Predigt vom Krieg zu sprechen, sondern dass es einen Raum gibt, wo man mit anderen darüber sprechen kann. Gleichzeitig gibt es Räume, in denen es eine Errungenschaft darstellt, den Opponenten zu raten, das Thema gar nicht erst zu erwähnen. Beispielsweise habe ich im Familien-Chat einige Monate dafür gekämpft, meinen Eltern das Verschicken blutrünstiger Posts abzugewöhnen.
Ihr arbeitet in Schulen mit Kindern, jungen Leuten. Was sagt ihr zu dieser Generation? Ist das die Zukunft Russlands oder bereits eine marschierende Mehrheit?
Boris: Teenager sind einfach unbequem. Mit ihnen muss man diskutieren. Und jedes Mal, wenn sie so unbequem sind, freue ich mich. Ich quäle mich mit ihnen ab, aber danach kann man sich mit ihnen zusammen mit „diesen“ [Regimetreuen] abquälen. Meiner Ansicht nach sind „diese“ noch nicht bereit. Ich weiß nicht, was mit den „Putinkindern“ passiert, die jetzt in der Grundschule sind. Wenn sich jetzt die Propaganda richtig um sie kümmert, kann sie wahrscheinlich etwas ausrichten, aber ich bin mir nicht sicher. Aber die 9.-11.-Klässler sind für Putin verloren, scheint mir.
Daniil: Das würde ich nicht für ganz Russland so verallgemeinern. Gemäß meinen Beobachtungen nimmt der Grad der Konformität mit jedem Jahr mehr zu. Unbequem zu sein, ist leider kein Mainstream. Der Mainstream wird von Leitern der Putinbewegung, von Erziehungsberatern und anderen politischen Kadern unseres Landes ausgebildet.
Alexej: Ich unterrichte in einer kleinen Privatschule, in der die Kinder darauf vorbereitet werden, im Ausland zu studieren. Ich spreche in jeder Lektion mit ihnen über den Krieg. Die Kinder haben mich noch nie verraten. Aber meine Kollegen haben mich dem Direktor gemeldet. Die Kinder geben mir Kraft und Hoffnung nur deswegen, weil ihnen die Fähigkeit zum Mitleid noch nicht völlig abhanden gekommen ist wie bei meinen Kollegen. Wie Boris gerne sagt: Christentum, das sind keine traditionellen Werte, traditionelle Werte sind nämlich blutrünstig, und wenn ich den Kindern christliche Orientierung und einen Raum für Gespräche bieten kann, dann gibt mir das Hoffnung.
Original: https://shaltnotkill.info/nasha-zadacha-vstryahnut-teh-kto-zagonyaet-mysli-o-vojne-na-zadvorki-soznaniya/
Übersetzung aus dem Russischen: Regula Zwahlen