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Georgien: Orthodoxe Kirche ruft zu friedlicher Konfliktlösung auf

05. Dezember 2024

Inmitten der eskalierenden Proteste in Georgien hat die Georgische Orthodoxe Kirche (GOK) in einem Statement zu Besonnenheit und einem Ende der Gewalt aufgerufen. Seit den umstrittenen Parlamentswahlen vom 26. Oktober, die laut der Wahlkommission zugunsten der Regierungspartei Georgischer Traum ausgingen, wird Georgien von Unruhen erschüttert. Die Opposition und ein Teil der Zivilgesellschaft halten die Wahlen für manipuliert. Nachdem die Regierung angekündigt hatte, die laufenden EU-Beitrittsanstrengungen bis 2028 auf Eis zu legen, haben die Demonstrationen noch zugenommen und es ist zu gewalttätigen Ausschreitungen, vor allem in der Hauptstadt Tbilissi, gekommen.

In ihrem Statement vom 29. November drückte die GOK ihre „große Sorge und Leid“ über die Ausschreitungen aus. Die Erklärungen der Regierung, dass Georgien dennoch nicht von seinem Europakurs abweiche, hätten sich „für einen Teil der Gesellschaft als ungenügend und nicht überzeugend“ erwiesen. Daher seien die friedlichen Demonstrationen eskaliert und hätten sich in physische Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden verwandelt. Die Kirche wirft den Demonstranten vor, in Gebäude einzubrechen versucht und Infrastruktur beschädigt zu haben. Zugleich kritisierte sie das „aggressive Verhalten“ der Sicherheitskräfte, die Protestierende unterschiedlichen Alters, darunter Journalisten, die ihre Arbeit getan hätten, angegriffen hätten. Sie beklagte diese Ereignisse, die sich seit Jahren periodisch wiederholten. Die „kategorische Ablehnung anderer durch Individuen und politische Parteien, radikale Haltungen aufgrund verschiedener Meinungen und Haltungen, Aggressionen und Zwist sind alltäglich geworden“, heißt es in dem Statement weiter. Die GOK ruft, wie sie das seit jeher tue, zu „Zurückhaltung und gegenseitigem Respekt“ ungeachtet unterschiedlicher Meinungen und politischer Ansichten auf. Sie rief sowohl die Behörden und Sicherheitskräfte als auch die Zivilgesellschaft auf, von „aggressiven und beleidigenden Handlungen sowie physischen und verbalen Konfrontationen“ abzusehen. Differenzen sollten auf zivile Weise ausgedrückt werden.

Am folgenden Tag doppelte die GOK nach und zeigte sich in einem weiteren Statement „zutiefst betrübt“, dass die Demonstrationen im Zentrum Tbilissis am 30. November trotz ihres Aufrufs eskaliert seien. Die Ausschreitungen würden die Grenzen von „Gesetz und Moral“ überschreiten, und die aktuelle Situation bedrohe die friedliche Koexistenz der Bürger. Die Menschen auf beiden Seiten seien ihr lieb und sie bete für sie, erklärte die GOK. Sie rief die Protestierenden und insbesondere jungen Menschen auf, Weisheit zu zeigen und beim Ausdruck ihres Protests Grenzen zu wahren. Die Sicherheitskräfte rief sie zu „maximaler Geduld“ auf, und nicht die Grenzen des Legalen zu überschreiten.

Offenbar haben während der Auseinandersetzungen Protestierende in einer Kirche gegenüber des Parlaments Zuflucht gesucht. Laut einem Facebook-Post des Geistlichen Georgij Tserodze haben zudem mindestens 45 orthodoxe Geistliche in Georgien, darunter auch Bischöfe, die Gewalt gegen die Protestierenden in irgendeiner Form öffentlich verurteilt. Ansonsten pflegt die GOK gute Beziehungen zur Regierung und Regierungspartei. So hatte das Oberhaupt der GOK, Katholikos-Patriarch Ilia II., Mitte November dem Georgischen Traum „von ganzem Herzen“ zum Sieg bei den Parlamentswahlen gratuliert.

Vor den Wahlen hatte die GOK außerdem ein Statement veröffentlicht, das man als Unterstützung der Regierungspartei verstehen konnte, wobei die Kirche politische Neutralität reklamierte. Die Regierung zeigt sich zudem regelmäßig als Unterstützerin der GOK. Im März 2024 erhöhte sie beispielsweise den staatlichen Beitrag an Bildungseinrichtungen der GOK um 5 Mio. Georgische Lari (ca. 1,7 Mio. Euro) im Vergleich zum Vorjahr. Im Sommer kündigte die Regierung zudem an, 2 Mio. Lari (675'000 Euro) für die Universität des Patriarchats bereitzustellen.

Als er sich für die Gratulation des Patriarchen bedankte, betonte Ministerpräsident Irakli Kobachidse die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche. Jede Botschaft des Patriarchen sei für die Regierung „beachtenswert“ und sie handle „natürlich entsprechend“. Im Sommer kündigte Kobachidse zudem eine Anpassung der Verfassung an, in der der Status und die Rolle der GOK „als Grundpfeiler der Identität unseres Landes“ definiert werden soll. Bisher wird in der Verfassung lediglich die „bedeutende Rolle“ der orthodoxen Kirche in der Geschichte Georgiens festgehalten. Aber die Kirche spiele nicht nur für die Geschichte, sondern auch in der Gegenwart eine „zentrale Rolle“ für das Land, führte der Ministerprsäident weiter aus. Kurz zuvor war vom Georgischen Traum und der GOK bestätigt worden, dass es Konsultationen zwischen ihnen um die „Förderung der Rolle“ der Kirche gebe. Dabei geht es laut einem Vertreter des Georgischen Traums darum, die Position der Kirche zu stärken ohne ihre Unabhängigkeit einzuschränken. (NÖK)

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