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Russland: Patriarch Kirill spricht von „Kräften des Bösen“, ukrainische Geistliche üben Kritik

01. März 2022

Patriarch Kirill hat das Geschehen am vierten Kriegstag als Verteidigung der Einheit der Russischen Orthodoxen Kirche in Russland, Belarus und der Ukraine gegen böse Kräfte dargestellt. Am 27. Februar feierte er in der Moskauer Christus Erlöser-Kathedrale den Sonntag zum „Jüngsten Gericht“ und sprach Gebete für die Neumärtyrer und Zeugen der Russischen Kirche – anlässlich des 100. Jahrestages einer Erklärung von Patriarch Tichon am 28. Februar 1922, welche die sowjetische Beschlagnahmung von Kirchengütern verurteilte. Die Liturgie wurde auf den Telekanälen Sojuz und Spas direkt übertragen.

Während der Liturgie sprach Patriarch Kirill folgendes Gebet für die Ukraine: „Vor Dir, unserem großherzigen Herrn, fallen wir auf die Knie mit gebrochenem Herzen und inbrünstigem Gebet für das Land der Ukraine, das von Streit und Unruhen zerrissen ist. […] Stärke die Menschen im Land der Ukraine mit Deiner Kraft, erleuchte die Augen derer, die in die Irre gehen, mit Deinem göttlichen Licht, damit sie Deine Wahrheit verstehen. Besänftige ihre Verhärtung, lösche die Feindschaft und die Unruhe im Land und richte die friedlichen Menschen auf, damit sie Dich, unseren Herrn und Erlöser, erkennen.“

Nach der Liturgie rief der Patriarch in seiner Predigt zur „Einheit mit unseren Brüdern und Schwestern in der Ukraine“ auf. „Gott bewahre, dass die gegenwärtige politische Situation in der uns nahestehenden brüderlichen Ukraine dazu führt, dass die bösen Kräfte, die immer gegen die Einheit der Rus‘ und der Russischen Kirche gekämpft haben, die Oberhand gewinnen. Gott bewahre uns davor, dass zwischen Russland und der Ukraine eine schreckliche Grenze gezogen wird, die mit dem Blut von Brüdern befleckt ist.“ Er rief dazu auf, für die Wiederherstellung des Friedens und der „guten brüderlichen Beziehungen zwischen unseren Völkern“ zu beten. Der „Garant für diese Brüderlichkeit“ sei „unsere geeinte Orthodoxe Kirche, die in der Ukraine durch die Ukrainische Orthodoxe Kirche vertreten wird, an deren Spitze Seine Seligkeit Onufrij (Berezovskij) steht“.

Patriarch Kirill warnte die Kirche davor, sich „von dunklen und feindlichen äußeren Kräften verhöhnen zu lassen“, und forderte, alles zu tun, um den Frieden zwischen den Völkern zu bewahren und „gleichzeitig unser gemeinsames historisches Vaterland vor allen Handlungen von außen zu schützen, die diese Einheit zerstören können“.

Metropolit Onufrij von der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK), die dem Moskauer Patriarchat untersteht, hingegen forderte den russischen Präsidenten am selben Tag direkt auf, den Bruderkrieg sofort zu beenden. In einem Statement kritisierte am 28. Februar der Hl. Synod der UOK den Krieg und insbesondere, dass die Atomstreitkräfte Russlands in Alarmbereitschaft versetzt wurden, was die Zukunft der Menschheit und der ganzen Welt infrage stelle. Den Verteidigern der Ukraine versicherte der Hl. Synod, dass er sie ehre und für sie bete. Zudem wiederholte er, die UOK habe und werde immer die staatliche Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine unterstützen. Die Eparchien und Klöster leisteten den Flüchtlingen und allen Betroffenen Hilfe. Patriarch Kirill rief der Hl. Synod dazu auf, sich für ein Ende des „brudermörderischen Blutvergießens auf der ukrainischen Erde“ auszusprechen und die russische Regierung zur sofortigen Unterbrechung der Kriegshandlungen, die bereits den Weltfrieden bedrohten, aufzurufen. Den russischen und ukrainischen Präsidenten bat der Hl. Synod, alles für die Beendigung der „Sünde der bewaffneten Auseinandersetzung der beiden brüderlichen Völker“ zu tun und Verhandlungen aufzunehmen. Schon jetzt habe der Krieg den Beziehungen zwischen dem russischen und dem ukrainischen Volk einen „schweren Schlag“ versetzt. Das ukrainische Volk rief der Hl. Synod zu Einheit und gegenseitiger Hilfe auf.

Nach der Rede Kirills am 27. Februar veröffentlichten zahlreiche Geistliche der UOK aus der Eparchie Sumy an der Ostgrenze der Ukraine zu Russland eine Erklärung, dass sie den Patriarchen in den Gottesdiensten nicht mehr kommemorieren werden (29, weitere Unterschriften werden gesammelt). In der Eparchie fand einer der schlimmsten Angriffe der russischen Armee statt, wobei Wohngebiete getroffen und unschuldige Zivilisten getötet wurden. Die Geistlichen vermissen in den Worten des Patriarchen die klare Verurteilung des Angriffs auf ihre Heimat: Seine „Worte legen nahe, dass der Patriarch es durchaus befürwortet, die Ukraine zur Aufgabe ihrer staatlichen Souveränität zu zwingen und sie gewaltsam in Russland einzugliedern. Obwohl Seine Heiligkeit Patriarch Kirill seit vielen Jahren sagt, dass die Ukraine in seiner pastoralen Verantwortung steht, sehen wir heute keinen Versuch seinerseits, die leidende Bevölkerung der Ukraine zu schützen. In dieser schwierigen Situation haben wir, geleitet von unserem pastoralen Gewissen, beschlossen, die Kommemoration an den Moskauer Patriarchen während der Gottesdienste einzustellen. Diese Entscheidung wird auch von den Forderungen unserer Gläubigen diktiert, die den Namen des Patriarchen Kirill in unseren Kirchen leider nicht mehr hören wollen. Wir möchten besonders betonen, dass dieser Schritt keinen Verstoß gegen den Kanon darstellt. Nach den kirchlichen Vorschriften ist ein Priester nur zum Gedenken an seinen leitenden Bischof verpflichtet. Wir gedenken in den Gottesdiensten weiterhin Seiner Seligkeit Onufrij, Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine, und Seiner Eminenz Jevlohij (Guttschenko), Metropolit von Sumy und Achtyrsky. Wir bleiben Teil der ukrainisch-orthodoxen Kirche. Es ist bekannt, dass es in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche Gemeinden gibt, die seit vielen Jahren nicht mehr des Moskauer Patriarchen gedenken, und niemand macht ihnen dafür einen Vorwurf.“ (Regula Zwahlen & NÖK)

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