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Russland: Oppositionspolitiker Navalnyj unter großer Anteilnahme in Moskau beerdigt

07. März 2024

Der russische Oppositionspolitiker Alexej Navalnyj ist am 1. März in Moskau beigesetzt worden. Der Gottesdienst fand in der Kirche der Ikone der Muttergottes „Stille meine Sorgen“ im Moskauer Bezirk Marino statt, wo Navalnyj und seine Familie längere Zeit gewohnt hatten. Vor der kleinen Kirche versammelten sich seit dem Morgen Tausende Menschen, die sich vom Kremlkritiker verabschieden wollten. Während sie darauf warteten, in die Kirche gelassen zu werden, begannen sie in der zwei Kilometer langen Schlange die Panichida zu singen. Da der Trauergottesdienst sehr kurz ausfiel, gelangten laut Berichten nur wenige Menschen in die Kirche, der Rest zog daraufhin zum Borisovskij-Friedhof, wo Navalnyj beerdigt wurde. Trotz der einschüchternden Sicherheitsvorkehrungen und des Risikos, als Regimegegner eingestuft zu werden, kamen zahlreiche Menschen zur Beerdigung und sprachen sogar vor der Kamera mit Journalisten.

Die Kirche der Ikone der Muttergottes „Stille meine Sorgen“ wird von einem der Kirchenleitung loyalen Priester geleitet. Die Kirchgemeinde spendete im Februar den russischen Soldaten an der Front in der Ukraine ein Auto, das sie mit Spenden der Gemeindemitglieder gekauft hatte. Am Tag der Beerdigung waren rund um die Kirche und den Friedhof Polizisten postiert, schon zuvor waren Abschrankungen aufgestellt worden. Laut dem Bericht einer Augenzeugin waren auch in der Kirche Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter; Internet und Mobilfunk waren blockiert. Zudem filmten Beamte in Zivil die Anwesenden. Allerdings wurde das Aufnahmeverbot, das in der Kirche galt, gegenüber den Trauergästen nicht durchgesetzt. Auch in den Tagen nach der Beerdigung kamen zahlreiche Menschen zum Friedhof, um Blumen auf das Grab von Navanlnyj abzulegen. Am 4. März feierte sogar ein Priester eine Panichida am Grab. Online zündeten über 260‘000 Personen (Stand 6. März) eine digitale Kerze zu seinem Gedenken an.

Alexej Navalnyj war am 16. Februar in einem Straflager im hohen Norden Russlands gestorben, die Umstände sind weiterhin unklar. Zunächst weigerten sich die Behörden, den Körper des Verstorbenen herauszugeben. Seine Mutter wandte sich deshalb am 20. Februar an den russischen Präsidenten Vladimir Putin. Am 21. Februar baten orthodoxe Geistliche und Gläubige sowie „Christen anderer Konfessionen“ die Behörden in einem offenen Brief, den Körper des Verstorbenen seiner Familie zu übergeben, damit er auf christliche Weise beerdigt werden könne. Das sei nicht nur der „Wunsch und das juristische Recht“ der Familie, sondern auch eine Pflicht vor Gott und dem Verstorbenen. Eine Weigerung würde als „Unbarmherzigkeit und Unmenschlichkeit wahrgenommen werden“, was zu noch größeren Spannungen in der Gesellschaft führen könnte, heißt es in dem Aufruf. Er wurde von 4715 Personen unterschrieben, bis die Behörden am 24. Februar den Leichnam freigaben.

Navalnyjs Mitstreiter beklagten danach weitere Schwierigkeiten bei der Vorbereitung der Beerdigung. Zunächst konnten sie keinen Saal mieten, um Navalnyj aufzubahren, damit sich die Menschen von ihm verabschieden können. Schließlich begnügten sie sich mit dem Trauergottesdienst in der Kirche. Daraufhin wollte kein Bestattungsinstitut den Transport des Körpers übernehmen. Offenbar riefen Unbekannte alle Fahrer von Leichenwagen an und drohten ihnen.

Navalnyj hatte sich selbst als Christen und Gläubigen bezeichnet. Für die zivilgesellschaftliche Gruppe „Christen gegen den Krieg“ analysierte der russische Theologe Boris Glebov Navalnyjs Haltung. Da dieser seinen Glauben selten thematisiert hatte, bezieht sich der Autor vor allem auf einzelne Zitate, und versucht so, eine Vorstellung von Navalnyjs Weltanschauung in Bezug auf das Christentum abzuleiten. (NÖK)

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