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Russland: Weltkonzil des Russischen Volks spricht von Heiligem Krieg

04. April 2024

Das Weltkonzil des Russischen Volks unter der Leitung von Patriarch Kirill hat den russischen Angriffskrieg zum „Heiligen Krieg“ erklärt. Die „militärische Spezialoperation“, wie die offiziell vom Kreml vorgegebene Sprachregelung lautet, sei eine „neue Etappe des nationalen Befreiungskampfs des russischen Volks gegen das verbrecherische Kyjiwer Regime und den hinter ihm stehenden kollektiven Westen, der seit 2014 auf dem Gebiet der südwestlichen Rus geführt wird“. Das Dokument mit dem Titel „Gegenwart und Zukunft der Russischen Welt“ setzt Russland mit der Rus gleich und spricht den Ukrainern und Belarusen eine eigenständige nationale Existenz ab.

Verabschiedet wurde das Dokument, das sich als programmatischer Text und „Mandat“ der 25. Versammlung des Weltkonzils vom 27.–28. November 2023 versteht, am 27. März 2024. Es vereine die „bedeutendsten Vorschläge“, die in den Expertengruppen während der Vollversammlung im November vorgebracht worden seien. Der erste Teil des Dokuments ist der „militärischen Spezialoperation“ gewidmet. Mit dieser verteidige das „russische Volk mit der Waffe in der Hand sein Leben, seine Freiheit, Staatlichkeit, zivilisatorische, religiöse, nationale und kulturelle Identität sowie das Recht, auf dem eigenen Land in den Grenzen eines einigen russländischen Staats zu leben. Vom spirituell-moralischen Standpunkt aus ist die militärische Spezialoperation ein Geheiligter Krieg, in dem Russland und sein Volk, indem sie den einigen spirituellen Raum der Heiligen Rus verteidigen, die Mission des ‚Aufhalters‘ erfüllen, der die Welt vor dem Ansturm des Globalismus und dem Sieg des dem Satanismus verfallenen Westens beschützt.“ Weiter heißt es in dem Dokument: „Nach dem Ende der militärischen Spezialoperation muss das ganze Territorium der modernen Ukraine in die Zone des ausschließlichen Einflusses Russlands fallen. Die Möglichkeit, dass auf diesem Territorium ein russophobes, Russland und seinem Volk feindlich gesinntes politisches Regime ebenso wie ein politisches Regime, das von einem Russland gegenüber feindlichen äußeren Zentrum aus regiert wird, existiert, muss vollständig ausgeschlossen sein.“

Im zweiten Teil wird die „Russische Welt“ behandelt, deren „Gründer, Stütze und Verteidiger“ Russland sei. Die „Grenzen der Russischen Welt als spirituellem und kulturell-zivilisatorischem Phänomen sind bedeutend weiter als die staatlichen Grenzen sowohl der heutigen Russischen Föderation als auch des großen historischen Russland. Neben den Vertretern der in der ganzen Welt verstreuten russischen Ökumene umfasst die Russische Welt alle, für die die russische Tradition, die Heiligtümer der russischen Zivilisation und die große russische Kultur den höchsten Wert und Sinn des Lebens darstellen.“ Der Daseinszweck und die spirituelle Mission Russlands und der Russischen Welt sei der „globale ‚Aufhalter‘ zu sein, der die Welt vor dem Bösen beschützt“. Der „Aufbau der tausendjährigen russischen Staatlichkeit ist die höchste Form des politischen Schöpfertums der Russen als Nation. Die Spaltung und Schwächung des russischen Volks sowie der Entzug seiner geistlichen und Lebenskräfte hat immer zur Schwächung und Krise des russländischen Staats geführt. Deshalb ist die Wiederherstellung der Einheit des russischen Volks sowie seines spirituellen und Lebenspotenzials eine Schlüsselbedingung für das Überleben und die erfolgreiche Entwicklung Russlands und der Russischen Welt im 21. Jahrhundert.“ Die zentrale Grundlage der russischen Nationalität sei die Familie.

Mit Blick auf die Außenpolitik fordert das Dokument, dass Russland zu einem „führenden Zentrum der multipolaren Welt“ werde, das im ganzen postsowjetischen Raum Integrationsprozesse leite sowie Sicherheit und eine stabile Entwicklung garantiere. Die „Wiederherstellung des russischen Volks muss eine der prioritären Aufgaben der Außenpolitik Russlands werden. Russland muss zur seit mehr als 300 Jahren bestehenden Doktrin des dreieinigen russischen Volks zurückkehren, laut der das russische Volk aus den Großrussen, Kleinrussen und Belorussen besteht, [...] und der Begriff „russisch“ umfasst alle östlichen Slawen [...]. Neben der Anerkennung und Entwicklung in der nationalen Wissenschaft muss die Doktrin der Dreieinigkeit eine gesetzliche Stärkung erhalten und so ein unabdingbarer Teil des russischen Rechtssystems werden.“

Familienpolitik und Demographie sind das Thema des vierten Teils des Dokuments. Dabei sollen eine „starke, kinderreiche Familie“, deren Wohlergehen, ein Anstieg der Geburtenrate sowie der Kampf gegen Abtreibungen „im Zentrum aller staatlichen Politik stehen“. Zu diesem Zweck sollte ein „Komplex von Maßnahmen“ eingeführt werden, um Familien zu einem dritten oder noch mehr Kindern anzuregen. So schlagen die Verfasser unter anderem Rabatte bei Hypotheken für kinderreiche Familien oder umfassende Maßnahmen gegen „Propaganda für Abtreibungen, geschlechtliche Zügellosigkeit und Ausschweifung sowie Sodomie und verschiedene sexuelle Perversionen“ vor. Zudem sollten die „moralischen Grundlagen des Familienlebens“ zu einem obligatorischen Schulfach werden. Dabei fordert das Weltkonzil vom Staat ein „langfristiges strategisches Ziel“, nämlich mit einem stetigen demographischen Wachstum in den nächsten 100 Jahren die Bevölkerungszahl in Russland auf 600 Mio. anzuheben.

In engem Zusammenhang mit der Demographiepolitik sehen die Verfasser die Migrationspolitik. Der „massenhafte Zustrom von Migranten, die nicht Russisch sprechen und nicht die nötigen Vorstellungen von der russischen Geschichte und Kultur haben, und daher nicht zur Integration in die russische Gesellschaft fähig sind, verändert die Gestalt der russischen Städte, was zur Deformation des einigen rechtlichen, kulturellen und sprachlichen Raums des Landes führt“. In den Großstädten bildeten sich „ethnische Enklaven, die Brutstätten für Korruption, organisiertes ethnisches Verbrechen und illegale Migration sind“. Da sie eigenen Gesetzen folgten, dienten sie als „Nährboden für Extremismus und Terrorismus, und sind die Quelle einer kolossalen Spannung in der Gesellschaft“. Ausgehend davon fordern die Verfasser Anpassungen bei den Konzepten und gesetzlichen Grundlagen zur Migration. Außerdem verlangen sie, dass der „Schutz russischer Familien“ und der „russischen zivilisatorischen Identität“ im Mittelpunkt einer neuen Migrationspolitik stehen sollten. Zudem sollte die „massenhafte Repatriierung von Landsleuten nach Russland sowie der Zuzug ausländischer hochqualifizierter Spezialisten, Wissenschaftler, Investoren und ihrer Familienmitglieder, die Russland loyal und bereit zur sprachlichen und kulturellen Integration sind“, gefördert werden. Zugleich soll der „Zufluss von niedrigqualifizierten ausländischen Arbeitskräften mit einer anderen Kultur“ stark eingeschränkt werden.

Das angestrebte massive Bevölkerungswachstum verlangt nach Ansicht der Verfasser eine völlig veränderte Raumplanung und Städtebaupolitik. Dabei sollen nicht länger Großstädte und ihre Agglomerationen prioritär entwickelt werden, stattdessen soll eine Abkehr von der Konzentration von „Arbeitsressourcen und Produktionskräften in den Megacitys“ stattfinden. Zudem fordert das Weltkonzil einen „Übergang zu einer für Russland traditionellen gleichmäßigen Verteilung der Bevölkerung und Produktionskräfte auf das Territorium des Landes mittels einer massenhaften Umsiedlung von Stadtbewohnern in komfortable Stadtrandsiedlungen in Einfamilienhäuser“. So soll sich Russland bis 2050 von einem „Territorium von 16 Megacitys und entvölkerten riesigen Räumen“ in ein „gleichmäßig besiedeltes, niedrig bebautes Land von 1000 wiederbelebten mittleren und kleinen Städten verwandeln“. Vorortsiedlungen sollten der Hauptsiedlungstyp im Land werden, wobei 80 Prozent der Bevölkerung in ihrem eigenen Einfamilienhaus auf ihrem eigenen Land leben sollten. Das „Leben auf eigenem Land, unter ökologisch günstigen und komfortablen Bedingungen, in einem eigenen wohlgestalteten Haus, in dem eine Familie gegründet und drei oder mehr Kinder geboren und erzogen werden können, soll die sichtbare Verwirklichung der Idee der Russischen Welt werden“, heißt es zum Thema abschließend.

In einem kurzen Kapitel zur Wirtschaft sieht das Weltkonzil die wirtschaftliche Entwicklung hauptsächlich im Dienst der vorangegangenen Punkte. Außerdem wird die Souveränität über die eigene Wirtschaft und die Kontrolle über den Finanzmarkt betont. Auch für den Bildungsbereich fordern die Verfasser Reformen. Dabei geht es vor allem darum, Bildung und Wissenschaft von ausländischen, „vom Westen aufgezwungenen“ Elementen und Einflüssen zu befreien.

Das Weltkonzil des Russischen Volks ist eine russische Nichtregierungsorganisation, in der Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Religionsgemeinschaften versammelt sind. Sein Ziel ist die geistliche, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Wiedergeburt Russlands und des russischen Volks, bei der Gründung spielte die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) eine wichtige Rolle. Der russische Patriarch Kirill leitet das Volkskonzil und in den Gremien der Organisation finden sich viele Vertreter der ROK. Formal ist das Weltkonzil aber kein Teil der ROK.

Ende März versandte zudem der Geschäftsführer des Moskauer Patriarchats, Metropolit Grigorij (Petrov), ein Zirkularschreiben an alle Eparchien der ROK. Darin informierte er, dass während der Fastenzeit vor Ostern das Gebet über die Heilige Rus, mit dem für den Sieg über die Ukraine gebetet wird, jeden Tag gebetet werden soll. Bereits zuvor musste das Gebet in jedem Gottesdienst gebetet werden. Geistliche, die das nicht tun, müssen mit Konsequenzen rechnen. (NÖK)

Des Patriarchen orthodoxe Patrioten: 25. Weltkonzil des Russischen Volks

Der russische Patriarch steht auch dem „Weltkonzil des Russischen Volks“ vor, das patriotische Kräfte zur geistlichen und kulturellen Wiedergeburt Russlands versammelt. Anlässlich seiner 25. Vollversammlung nimmt Regula Zwahlen dessen Entwicklung und heutige Rolle in den Blick. 


Prüfung durch das Gebet. Welche Perspektiven haben die Kriegsgegner in der ROK?

Die Repressionen innerhalb der Russischen Orthodoxen Kirche gegen abweichende Meinungen werden immer stärker. Ksenia Luchenko schildert mehrere Fälle und zeigt (fehlende) Perspektiven für Kriegsgegner in der Kirche auf.