Montenegro: Venedig-Kommission zum neuen Religionsgesetz
Mit der Einschätzung, welche die Venedig-Kommission zum Entwurf eines neuen Religionsgesetzes in Montenegro abgegeben hat, sind sowohl die montenegrinische Regierung als auch die Serbische Orthodoxe Kirche (SOK) zufrieden. Die Kommission, ein juristisches Beratungsorgan des Europarats, beurteilte den Gesetzesentwurf als Schritt nach vorn, rief die Regierung aber auch zu Konsultationen mit der Öffentlichkeit, inklusive Vertretern der Religionsgemeinschaften, auf.
Die Regierung Montenegros hatte dem Gesetzesentwurf Mitte Mai zugestimmt, was bei der SOK auf scharfe Kritik stieß. Das Gesetz sieht unter anderem ein Register aller religiösen Gebäude und Stätten vor, die einst dem unabhängigen Königreich Montenegro gehörten, bevor es 1918 Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen wurde. Religiöse Gemeinschaften dürften ihren Besitz nur dann behalten, wenn sie ihre Eigentümerschaft zweifelsfrei beweisen können. Daher befürchtet die SOK, dass mithilfe des Gesetzes ihr Besitz verstaatlicht werden soll.
Hinsichtlich der Besitzfrage hat die Venedig-Kommission festgehalten, dass die entworfenen Regelungen „ziemlich vage und unklar“ sind. Zudem hätte die Kommission bei ihren Abklärungstreffen „unterschiedliche, teils widersprüchliche Interpretationen“ gehört, deshalb sei es „essentiell“, diese Punkte zu klären. Laut den montenegrinischen Behörden hat die Beschwerde einer religiösen Gemeinschaft gegen den Besitzanspruch des Staats aufschiebende Wirkung, die Registrierung von Staatseigentum soll erst nach der abschließenden Entscheidung erfolgen; dies sollte laut der Kommission im Entwurf explizit festgehalten werden. Die Übertragung von Immobilien und Grundstücken an den Staat wirkt sich gemäß Aussagen der Behörden nicht auf die Nutzung durch eine Religionsgemeinschaft aus, was in den Augen der Kommission eine „wichtige Garantie“ für religiöse Aktivitäten entsprechend dem Recht auf Religionsfreiheit ist. Allerdings sei dieser Punkt nicht im Gesetzesentwurf ersichtlich. Neben weiteren Kritikpunkten begrüßte die Kommission jedoch die Bemühungen Montenegros um ein angemessenes Religionsgesetz und lobte verschiedene Aspekte. Der Entwurf enthalte „wichtige positive Änderungen des bestehenden, veralteten Gesetzes“.
Die montenegrinische Regierung begrüßte das Statement der Kommission und beteuerte, der Staat werde religiöses Eigentum schützen. Die SOK zeigte sich zufrieden damit, dass die Regelungen zu kirchlichem Besitz von der Kommission nicht abgesegnet wurden. Der montenegrinische Präsident Milo Đukanović beteuerte, mit dem neuen Gesetz werde nicht beabsichtigt, jemandem seinen Besitz wegzunehmen. Allerdings werde auch niemandem erlaubt, staatliches Eigentum zu stehlen. Der SOK warf er vor, ihr „religiöses Monopol“ im Land sowie die „Infrastruktur Großserbiens“ bewahren zu wollen. Zudem beschuldigte er sie, sich mehr mit politischen, als mit religiösen Fragen zu beschäftigen sowie die Unabhängigkeit Montenegros für einen temporären Fehler zu halten. „Natürlich“ erwarte er die Anerkennung der Unabhängigkeit der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche vom Ökumenischen Patriarchat, erklärte Đukanović weiter. Damit würde ein „schweres Unrecht“ wiedergutgemacht. Auf dieses Ziel werde seine Partei „hingebungsvoll“ hinarbeiten.
Diesem Ziel hat der Ökumenische Patriarch Bartholomaios jedoch eine klare Absage erteilt. In einem Brief an Đukanović vom 21. Juni erklärte er, dass keine kanonische orthodoxe Kirche die die „antikanonische Erfindung von Dedeić“, dem aktuellen Oberhaupt der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche, anerkennen oder unterstützen werde. Das Ökumenische Patriarchat und alle anderen orthodoxen Kirchen „anerkennen als einzige kanonische orthodoxe Jurisdiktion in Montenegro“ diejenige von Metropolit Amfilohije (Radović) von Montenegro und den Küstenländern, der ein Bischof der SOK ist. Milaš Dedeić sei kein orthodoxer Bischof, sondern vom Ökumenischen Patriarchat laisiert worden, zudem sei die montenegrinische Kirche nie autokephal gewesen. Zum Gesetzesentwurf äußerte sich Bartholomaios im Brief ebenfalls kritisch.
Die Metropolie von Montenegro und den Küstenländern hat Đukanović in einem ausführlichen Statement widersprochen und ihm als „Nichtgläubigen“ die Kompetenz in der Autokephalie-Frage abgesprochen. Der Rat der montenegrinischen Bischöfe hat außerdem eine Petition verfasst, in der die Behörden zum Rückzug des Gesetzesentwurfs und zur Erarbeitung eines neuen Gesetzes aufgerufen werden. Bis Ende Juni kann die Petition in allen serbisch-orthodoxen Kirchen Montenegros von Gläubigen unterzeichnet werden. Zuvor hatte Metropolit Amfilohije am 15. Juni zu einem großen Gottesdienst nach Podgorica eingeladen, um gegen den Gesetzesentwurf zu protestieren. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und weitere Regierungsmitglieder warnten von einer Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen der beiden Länder.
Die SOK, der die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen im Land angehört, unterstellt Montenegro schon seit längerem, die kleine Montenegrinische Orthodoxe Kirche (MOK), die sich 1993 von ihr abgespalten hat und von der Weltorthodoxie nicht anerkannt wird, auf ihre Kosten zu bevorzugen. Dazu gehört auch, dass Anfang Jahr die Aufenthaltsbewilligung einiger Geistlicher und Mönche nicht verlängert wurde. Die SOK befürchtet, dass die Bemühungen um eine Anerkennung der MOK durch die kirchlichen Entwicklungen in der Ukraine Auftrieb erhalten könnten. (NÖK)
Stefan Kube zum Zusammenleben der Religionsgemeinschaften und ihrem Verhältnis zum Staat in Montenegro
In Montenegro wird ein neues Religionsgesetz vorbereitet, das von der im Land dominierenden Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) kritisiert wird. Zur Stellung der SOK, ihrem Verhältnis zum Staat und zu den anderen Religionsgemeinschaften äußert sich Stefan Kube.
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