Russland: Patriarch will Lehren aus Protesten in Jekaterinburg ziehen
Patriarch Kirill glaubt, die Auseinandersetzung um den Bau einer neuen Kirche in einem Park in Jekaterinburg wäre vermeidbar gewesen, hätte man das Projekt der Bevölkerung anschaulich präsentiert. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) müsse ihr „Projekt den Leuten, für die wir diese Kirche schließlich bauen, überzeugend vorstellen“. Die Wahl des Standorts bezeichnete der Patriarch als „völlig logisch“ und verwies darauf, dass der Bau der Katharina-Kathedrale und die Umgestaltung der Umgebung den Ort verschönert hätten. Diese Ideen hätte man aber „visuell präsentieren“ sollen, statt einfach einen Zaun aufzustellen. Der Protest gegen den Kirchenbau sei jedoch nicht so sehr die Schuld der Verantwortlichen, als eine „Unachtsamkeit“, aus der nun die Lehren gezogen werden müssten.
Der Bau einer Kirche dürfe aber keinesfalls Gegenstand eines Kampfes werden, schon gar nicht eines politischen. Im gegebenen Fall ist laut Kirill eine „politische Dimension völlig offensichtlich“. Die ROK habe aber das „moralische und historische Recht“, Kirchen zu bauen. Bei der Einweihung einer Kirche in Straßburg hatte Kirill zwei Wochen zuvor gesagt, die ROK stelle täglich drei Kirchen fertig. Solange die Menschen Kirchen brauchten, würden diese weiterhin gebaut. Ohne „rationale Faktoren“ gegen einen Kirchenbau zu sein, bezeichnete er als „politische exotische Fälle“.
Einen äußeren Einfluss auf die Proteste sieht Patriarch Kirills Pressesprecher, Alexander Volkov. Kaum jemand sei je gegen den Bau einer Kirche, alle bisherigen Proteste seien „zu 90 Prozent von außen vorausgeplant“ gewesen, das sei „schlicht ein medizinischer Fakt“. Zudem behauptete er, die ROK berücksichtige immer die öffentliche Meinung und spreche den Bau jeder Kirche mit der Öffentlichkeit ab. Beobachter hingegen halten gerade das Fehlen von Mitsprachemöglichkeiten der Gesellschaft für die Ursache der Proteste.
Als Reaktion auf die Proteste Ende Mai hatte die Stadt das Bauvorhaben vorerst auf Eis gelegt und auf Anregung von Präsident Vladimir Putin beschlossen, eine Umfrage unter der Bevölkerung durchzuführen. Inzwischen konnte die Bevölkerung Jekaterinburgs Vorschläge für einen Standort der Kathedrale einreichen, von der Möglichkeit machten rund 11‘000 Personen Gebrauch. Dabei erhielten 13 von 61 vorgeschlagenen Orten mehr als 100 Stimmen, darunter der ursprünglich geplante Park in der Nähe des Oktoberplatzes. Aus den Vorschlägen wählte ein Expertenrat am 7. Juni sechs aus, die nun in der engeren Auswahl stehen. Den Park nahm der Rat unter der Bedingung, die Kirche kleiner zu bauen, ebenfalls in die Shortlist auf. Eine entsprechende Umfrage soll am 14. und 15. September durchgeführt werden.
Die Eparchie Jekaterinburg hat bereits Ende Mai angekündigt, das Umfrageresultat zu akzeptieren. Man werde mit der Stadt zusammenarbeiten. Zugleich sprach der örtliche Metropolit Kirill von einer „Herausforderung“ für die Kirche und verglich die Proteste mit der Ermordung der Zarenfamilie vor 100 Jahren. Am 16. Juni veröffentlichte er schließlich ein Statement, in dem die Kirche „ihr Recht“, im Park eine Kathedrale zu bauen, aufgibt. Würde der Ort bei der Abstimmung zur Auswahl stehen, könnte er durchaus gewinnen, davon ist Metropolit Kirill überzeugt. Doch in der „Atmosphäre totaler Lüge und Betrugs wird sogar ein Grundstück, das offen und ehrlich von der Mehrheit der Bürger gewählt wird, trotzdem zum Grund für Streitigkeiten“. Der Pressesprecher von Patriarch Kirill ist überzeugt, dass Jekaterinburg die Katharina-Kathedrale „braucht“ und diese auf jeden Fall gebaut wird.
Beobachter sehen in Jekaterinburg das jüngste Beispiel für die Wandlung von Protesten in Russland. Diese konzentrierten sich vermehrt auf lokale Angelegenheiten, weniger auf das politische System als Ganzes. Die Demonstranten seien insgesamt jünger, spontaner, unberechenbarer und weniger organisiert, etablierte Bürgerrechtsgruppen und politische Parteien fehlten. In den sozialen Medien erhielten die Proteste viele Sympathiebekundungen aus dem ganzen Land. (NÖK)
Sergej Tschapnin zu den Protesten gegen Kirchenbauten
Im Konflikt um den Bau einer neuen Kirche in Jekaterinburg haben die Behörden und Kirche nachgegeben und wollen eine Umfrage zur Bestimmung des Standorts durchführen. Sergej Tschapnin erklärt, worum es bei diesen Protesten geht und wie die Kirche dabei agiert.
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