Estland: Patriarch Bartholomaios kritisiert Russland
Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hat vom 8. bis 17. September Estland und Finnland besucht. Anlass waren die 100-Jahr-Jubiläen der jeweiligen autonomen orthodoxen Kirchen der beiden Länder. Auf seiner Reise traf der Patriarch von Konstantinopel auch mit den politischen Spitzen der beiden Staaten sowie zahlreichen Religionsvertretern zusammen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der innerorthodoxen Spannungen war insbesondere Bartholomaios Besuch in Estland von Brisanz.
In Estland existieren zwei autonome orthodoxe Kirchen: die Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche (EAOK), die dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel untersteht, sowie die Estnische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (EOK–MP), die die wesentlich zahlreicheren russischen und ukrainischen orthodoxen Gläubigen in Estland vereint. Nach der ersten Unabhängigkeit Estlands 1918 hatte sich die orthodoxe Kirche im Land der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchen unterstellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche unter Druck wieder dem Moskauer Patriarchat eingegliedert. Nach der erneuten Unabhängigkeit Estlands unterstellten sich jedoch wieder einige orthodoxe Gemeinden dem Patriarchat von Konstantinopel. 1996 setzte Patriarch Bartholomaios die Anerkennung der Estnischen Orthodoxen Kirche von 1923 wieder in Kraft, wogegen das Moskauer Patriarchat heftig protestierte.
Am 13. September leitete Patriarch Bartholomaios in der Kathedrale der Hl. Simeon und Anna in Tallinn eine Doxologie zur Feier des 100-Jahr-Jubiläums der EAOK. Dabei sagte er, das Patriarchat von Konstantinopel habe 1923 „bereitwillig“ auf die „Aufrufe und Bitten von Staat und Kirche“ in Estland reagiert und der Kirche die Autonomie zugestanden. Dagegen sei die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) mit Gewalt vorgegangen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe das Patriarchat von Konstantinopel erneut bereitwillig „seine kanonischen Rechte ausgeübt“ und die Autonomie auf Wunsch von Kirche und Staat wiederhergestellt. Darauf habe die ROK heftig reagiert. Vor wenigen Jahren sei nun das gleiche passiert, als Konstantinopel der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) die Autokephalie gewährt habe. Konstantinopel treffe „Entscheidungen in Übereinstimmung mit den heiligen Kanones der Kirche, aber die andere Seite benutzt Waffen und Drohungen und umgeht die heiligen Kanones und die Ordnung der orthodoxen Kirche“, kritisierte Bartholomaios.
Den Leiter der EAOK, Metropolit Stefanos (Charalambides) von Tallinn, rühmte Bartholomaios für seinen 24 Jahre währenden Dienst an der Spitze der Kirche, die Mutterkirche sei stolz auf ihn. Dem Staat, dem Präsidenten und der Ministerpräsidentin dankte er für den „andauernden Schutz unserer autonomen orthodoxen Kirche“. An einem Gottesdienst in Pärnu, dem Sitz der Eparchie Pärnu und Saare, beschwor Bartholomaios die Gläubigen, in der EAOK vereint zu bleiben. Trotz aller Prüfungen blühe sie nun und trage Früchte.
Der estnische Präsident Alar Karis dankte dem Patriarchen für die Unterstützung der EAOK. Diese habe in den letzten Jahren viel zum Zusammenhalt in der estnischen Gesellschaft und zur Befriedigung der spirituellen Bedürfnisse der orthodoxen Gläubigen beigetragen. Zudem lobte er die klare Position des Ökumenischen Patriarchen zugunsten der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs und zugunsten der OKU. Bei dem Besuch ging es unter anderem um eine Stärkung der EAOK gegenüber der EOK–MP. Deren Oberhaupt, Metropolit Evgenij (Reschetnikov), wurde bereits zweimal aus politischen Gründen ins Innenministerium zitiert, mehrfach wurde ihm – er ist Russe – mit dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis gedroht. Dabei ging es um eine Distanzierung von der Haltung der ROK zum Ukraine-Krieg.
In Finnland traf Patriarch Bartholomaios mit staatlichen Vertretern und Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften zusammen. Letzteren gegenüber betonte er in seiner Rede die Bedeutung des interreligiösen Dialogs. Auch in Finnland spaltete sich die orthodoxe Kirche nach der Unabhängigkeit des Landes nach dem Ersten Weltkrieg von Moskau ab. 1923 wurde sie zu einer autonomen Kirche innerhalb des Patriarchats von Konstantinopel. Obwohl der Finnischen Orthodoxen Kirche nur ca. 1 Prozent der Bevölkerung angehört, ist sie in der Verfassung als eine der Volkskirchen festgehalten. Wie die Evangelisch-Lutherische Kirche darf auch die Finnische Orthodoxe Kirche Kirchensteuern erheben. Ihr Oberhaupt, Erzbischof Leo (Makkonen), verurteilt den russischen Krieg gegen die Ukraine und hat die ROK für ihre Position scharf kritisiert. (mit Material von Kathpress) (NÖK)