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Estland: Moskauer Patriarchat als Komplize im Krieg gegen Ukraine eingestuft

16. Mai 2024

Der Riigikogu, das estnische Parlament, hat am 6. Mai eine Erklärung verabschiedet, in der es das Moskauer Patriarchat zu einem Unterstützer des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erklärt. 75 der 101 Abgeordneten stimmten dafür, acht dagegen. In der Erklärung verurteilte der Riigikogu Russlands Krieg und die Annexion eroberter Gebiete strikt. Seit dem Beginn des Kriegs habe der russische Patriarch Kirill die Aggression des „terroristischen Regimes“ Russlands öffentlich unterstützt. Kirill und die Leitung der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) benutzen die Ideologie der Russischen Welt als Instrument, um den Krieg zu fördern und die letzten Elemente der russischen Demokratie zu zerstören, die russische Gesellschaft zu militarisieren und den Angriff zu rechtfertigen.

Das Parlament nahm auch auf das Dokument der Weltkonzils des Russischen Volks Bezug, in dem der Krieg gegen die Ukraine als heiliger Krieg bezeichnet wird. Die Aufrufe des Moskauer Patriarchats stellten eine Gefahr für die Sicherheit und das Überleben Estlands sowie eine direkte Bedrohung der öffentlichen und verfassungsmäßigen Ordnung in Estland dar. Zugleich betonte der Riigikogu, dass seine Erklärung sich auf das Patriarchat als Institution und Leitungsorgan beziehe und nicht auf die orthodoxen Gläubigen. Orthodoxe Gemeinden und Gemeinschaften sollten die Gefahren selbst einschätzen und die nötigen Schritte unternehmen, um die Verbindungen zum Moskauer Patriarchat aufzulösen.

Die Estnische Orthodoxe Kirche – Moskauer Patriarchat (EOK–MP) hat mehrfach betont, als autonome Kirche innerhalb der ROK selbstverwaltet zu sein und den Krieg abzulehnen. Am Tag nach der Verabschiedung der Erklärung wiederholte Vikarbischof Daniil (Lepisk) von Tallinn in einem Statement, dass das Weltkonzil des Russischen Volks eine gesellschaftliche Organisation mit Mitgliedern aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Kirche in Russland sei und keine kirchliche Organisation, die im Namen der Kirche sprechen könne, schon gar nicht im Namen der EOK–MP. Außerdem hätten das estnische Innenministerium und verschiedene Politiker eingeräumt, dass sich die Gemeinden der EOK–MP bisher nichts zuschulden kommen lassen hätten. Weder Geistliche noch Laien seien wegen Verstößen gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Estland verurteilt worden, heißt es in dem Statement weiter. Dennoch würden sie in den Medien beschuldigt und zur Rechtfertigung sowie der Trennung von ihren Wurzeln und Ursprüngen aufgerufen. Würde die Trennung den Bedürfnissen der Gemeinde entsprechen, wäre es mögliche, eine Lösung zu finden, erklärte Bischof Daniil weiter. Doch wenn dies lediglich wegen des Insistierens der staatlichen Behörden und aufgrund von Druck auf die Religionsfreiheit geschehe, werde die Gesellschaft kaum davon profitieren.

Letztlich ist die Erklärung des Parlaments schwächer ausgefallen als ursprünglich geplant. Der estnische Innenminister Lauri Läänemets wollte unter dem Eindruck des Dokuments des Weltkonzils des Russischen Volks das Moskauer Patriarchat zunächst als terroristische Organisation einstufen. Schon kurz darauf hatte er seine Aussagen jedoch abgeschwächt und erklärt, die ROK nicht als terroristische Organisation einstufen zu wollen, sondern nur als Unterstützerin der russischen Aggressionen. Er fügte hinzu, dass alle Kirchen offen bleiben sollten, und es keine Pläne gebe, Kirchen Gebäude wegzunehmen. Allerdings hat das Bürgermeisteramt von Tallinn den Mietvertrag für das Büro des Metropoliten gekündigt. Vertreter des Innenministeriums besuchten im April zudem Kirchgemeinden, um sie davon zu überzeugen, das Moskauer Patriarchat zu verlassen und sich dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel anzuschließen. Raivo Küüt, Vizekanzler für Bevölkerung und Zivilgesellschaft des Innenministeriums, betonte, man versuche gemeinsam mit Gemeinden und Kirchenvorstehern einen Weg zu finden, die Kirchen vom Risiko, „im Interesse der russischen Aggression benutzt zu werden“, zu befreien. Zugleich beteuerte er, es würden keine Kirchen geschlossen und die Gottesdienste in jedem Fall weitergeführt.

Am 23. April besuchte Läänemets mit einer Delegation das Nonnenkloster Pühtitsa in Kuremäe, um über dessen jurisdiktionelle Zugehörigkeit zu sprechen. Das Entschlafenskloster ist stauropegial, es untersteht direkt dem Moskauer Patriarchen Kirill. In einem Statement nach dem Besuch verwies das Kloster analog zur Argumentation der EOK–MP darauf, seinem Statut entsprechend nicht das Recht zu haben, selbst seinen Status zu ändern. Falls die estnische Regierung auf einem Jurisdiktionswechsel bestehe, dann „kann die Regierung als Initiatorin dieses Prozesses sich selbst mit der Bitte an Patriarch Kirill wenden, den stauropegialen Status des Klosters aufzuheben“. Ein solches Vorgehen sei für die Gemeinschaft kanonisch legitim, bestätigte Äbtissin Filareta (Kalatscheva). Das einzig akzeptable Ergebnis dieses Prozesses sei für das Kloster eine Garantie der Regierung, dass es danach frei von Druck seine jurisdiktionelle Zugehörigkeit wählen könnte.

Kurz darauf wandte sich die Äbtissin in einem offenen Brief mit der Bitte um Unterstützung an den Rat Christlicher Kirchen Estlands. Sie hofft, dass die Vertreter der estnischen Kirchen verstehen, dass das Kloster seine kanonische Verbindung zu seiner Mutterkirche nicht eigenmächtig brechen kann. Zudem betonte sie den apolitischen Charakter des Klosters, es sei in den 133 Jahren seit seiner Gründung immer ein Ort des Gebets und der Arbeit gewesen, ungeachtet der äußeren historischen Entwicklungen und wechselnden Staaten, zu denen es gehörte. (NÖK)

Orthodoxer Metropolit muss Estland wegen unklarer Aussagen zum russischen Angriffskrieg verlassen

Die Aufenthaltsbewilligung von Metropolit Evgenij (Reschetnikov), dem Oberhaupt der Estnischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, wurde wegen seiner Aussagen zum russischen Krieg gegen die Ukraine nicht verlängert. Priit Rohtmets schildert die Hintergründe und Reaktionen.