Estland: Innenminister will Moskauer Patriarchat als „terroristisch“ einstufen lassen
Der estnische Innenminister Lauri Läänemets will dem Parlament vorschlagen, das Moskauer Patriarchat als „terroristisch“ sowie „durch seine Handlungen den Terrorismus unterstützend“ einzustufen. Aufgrund von Einschätzungen des Innenministeriums und der Sicherheitspolizei habe er „keine andere Wahl“, als die Verbindungen zwischen der Estnischen Orthodoxen Kirche–Moskauer Patriarchat (EOK-MP) und der Russischen Orthodoxen Kirche zu trennen. Als Innenminister könne er einem Gericht vorschlagen, die Aktivitäten einer Religionsgemeinschaft zu verbieten. Das „wird sich nicht auf die Gemeindemitglieder auswirken“, versprach Läänemets. Das bedeute nicht, dass Kirchen geschlossen würden, sondern nur, dass die Verbindung mit Moskau abgebrochen werde.
Seine Position begründete Läänemets damit, dass das „Moskauer Patriarchat heute Vladimir Putin untersteht“, und dass das estnische Parlament Russland bereits zu einem terroristischen Staat erklärt habe. Der russische Patriarch und das Patriarchat unterschieden sich mit ihrer Rhetorik von einem Heiligen Krieg nicht im Geringesten von islamistischen Terroristen. Patriarch Kirills Botschaft sei zu mächtig, als dass sie nicht bis zu den Menschen in den estnischen Gemeinden durchdringen würde, befürchtet Läänemets.
Auslöser für den Vorstoß des estnischen Innenministers ist das jüngste Dokument des Weltkonzils des Russischen Volkes, in dem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine als „Heiliger Krieg“ bezeichnet wird. Deshalb zitierte das estnische Innenministerium Bischöfe der EOK–MP zur Klärung zu sich. Dies geschah nicht zum ersten Mal, die estnischen Behörden misstrauen der Kirche aufgrund ihrer Verbindungen zur Russischen Orthodoxen Kirche (ROK). Im Februar war daher die Aufenthaltsbewilligung von Metropolit Evgenij (Reschetnikov) von Tallinn aus Sicherheitsbedenken nicht verlängert worden und er hatte das Land verlassen müssen. Diese Spannungen veranlassten die EOK–MP, am 9. April ihre Haltung angesichts der „Krisensituation zwischen der Kirche und dem Staat“ zu erläutern. Dabei erklärte sie, dass die EOK–MP „historisch und kanonisch“ mit der ROK verbunden sei. Es werde behauptet, dass sie direkt der ROK unterstehe, und sie werde für deren Handlungen verantwortlich gemacht. Das sei aber falsch, die „EOK–MP trägt nicht die Verantwortung für die Worte des Patriarchen und kann sie nicht tragen“.
Die EOK–MP betonte, ihre Verbindung zur ROK sei eine kanonische zwischen Strukturen verschiedener Ebenen. „Patriarchen wechseln, aber kanonische Verbindungen bleiben. Menschen in der Kirche können sich irren“, heißt es weiter. Aber bei jedem menschlichen Fehler seine kirchliche Zugehörigkeit zu wechseln, sei unmöglich. Anschließend erklärte sie, als autonome Kirche sei es „nicht in unserer Macht“, die kanonische Verbindung zum Moskauer Patriarchat abzubrechen. Zudem habe die ROK „auf kirchlicher Ebene nichts verabschiedet, das uns zwingen würde, die kanonische Verbindung mit ihr abzubrechen“. Denn das Weltkonzil sei keine kirchliche Struktur, deshalb könne sein Dokument kein Grund zum Abbruch der kirchlichen Beziehungen sein. Weiter verteidigte die EOK–MP auch die Praxis, für die ROK und den Patriarchen zu beten. Dabei gehe es um eine Bitte an Gott, die Betreffenden – ob Kirchenoberhaupt oder weltlicher Würdenträger – zur Erkenntnis der Wahrheit und entsprechendem Handeln zu lenken. Das Gebet bedeute nicht, dass die Handlungen eines Menschen gutgeheißen würden.
Eine Vereinigung mit der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche (EAOK), die dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel untersteht, hält die EOK–MP für unwahrscheinlich, zu groß sei das Misstrauen. Mit Blick auf Sicherheitsbedenken ihr gegenüber betonte sie erneut, sie und ihre Gläubigen fühlten sich als Teil der estnischen Gesellschaft. Sie verstehe nicht, weshalb man sie von dort herauszudrängen versuche. Die Kirchenleitung und die Geistlichen würden zu keinerlei Konflikt aufrufen, das Gegenteil treffe jedoch auf die Medien und die staatlichen Behörden zu. Aber mit dem Vorgehen gegen eine Kirche richte sich der Staat auch gegen einen Teil seiner Bevölkerung und ihre Religionsfreiheit.
Bereits unmittelbar nach Veröffentlichung des Dokuments des Weltkonzils des Russischen Volkes hatte die EOK–MP erklärt, dass ihr Oberhaupt seit mindestens sechs Jahren nicht mehr an den Versammlungen des Weltkonzils teilgenommen habe. Metropolit Evgenij sei somit auch an der fraglichen Versammlung nicht anwesend gewesen und er sei nicht Mitglied des Weltkonzils.
Wenig später nahm die EOK–MP auch zum Inhalt des Dokuments mit dem Titel „Gegenwart und Zukunft der Russischen Welt“ selbst Stellung. Der Hl. Synod verwies dabei auf die große Resonanz, die es in Estland ausgelöst habe, und zeigte Verständnis für die „Beunruhigung der Gesellschaft“. Das Weltkonzil sei eine „zivilgesellschaftliche Organisation eines anderen Landes“, und seine Beschlüsse hätten trotz der Teilnahme von Vertretern der ROK „keinen Bezug zur EOK–MP“, da sie autonom sei. Sie lehne das Dokument der Versammlung ab, da es „nicht dem Geist der evangelischen Lehre entspricht“. Die Gläubigen der EOK–MP seinen Teil der estnischen Gesellschaft und liebten und achteten die Kultur, Bräuche und Traditionen ihres Landes. Die „Idee der Russischen Welt ersetzt die evangelische Lehre, und wir als Christen können das nicht akzeptieren“, erklärte der Hl. Synod weiter. Die EOK–MP predige täglich Frieden und Einheit, deshalb könnten Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Nationalitäten an ihren Gottesdiensten teilnehmen. Abschließend rief der Hl. Synod seine Gläubigen auf, für Frieden und die „Sicherheit aller Einwohner unseres unabhängigen Estland“ zu beten.
Der Pressesprecher des Kremls, Dmitrij Peskov, wollte keinen Kommentar zum Vorhaben des estnischen Innenministers abgeben. Seine Äußerungen gehörten „wohl kaum zu den intelligentesten“, meinte er. Marija Zacharova, die Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte, alle Anzeichen für „seelische Indisposition“ seien vorhanden. Zudem seien Läänemets Aussagen unlogisch; ob denn Papst Franziskus mit Terroristen verhandle, fragte sie. (NÖK)
Die Aufenthaltsbewilligung von Metropolit Evgenij (Reschetnikov), dem Oberhaupt der Estnischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, wurde wegen seiner Aussagen zum russischen Krieg gegen die Ukraine nicht verlängert. Priit Rohtmets schildert die Hintergründe und Reaktionen.
Weiterlesen