Polen: Rechtsbeirat der Bischofskonferenz stellt sich gegen Aufarbeitungskommission für Missbrauchsfälle
Der Rechtsbeirat der Polnischen Bischofskonferenz hat am 28. Februar eine kritische Stellungnahme zur geplanten kirchlichen Aufarbeitungskommission für Fälle sexualisierter Gewalt an Minderjährigen durch Geistliche veröffentlicht. Sie empfiehlt der Vollversammlung der Bischofskonferenz vom 12.-14. März „keine Kommission zu berufen, die auf der Grundlage des vorgelegten Dokuments arbeitet“. Das Fachgremium kritisiert die vom zuständigen Erzbischof Wojciech Polak, Polens Primas, vorgeschlagenen Leitlinien unter anderem, weil es sich eher um eine „ermittelnde“ statt um eine „wissenschaftlich-historische“ Kommission handle. Erzbischof Polak erklärte, man werde sich bei der Vollversammlung mit der Stellungnahme auseinandersetzen, sie habe aber keinen verbindlichen Charakter.
Die Bischofskonferenz hatte im März 2023 angekündigt, ein unabhängiges Expertenteam zu berufen, das Fälle sexualisierter Gewalt von 1945 bis zum Start der Kommissionsarbeit untersuchen solle. Laut Wojciech Rzeszowski, Leiter des Büros des Beauftragten der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, stehen die Arbeiten zur Einrichtung der Kommission kurz vor dem Abschluss. Ein Expertenteam hat an der Struktur der Kommission gearbeitet, und es haben auch interne Konsultationen stattgefunden. Der Entwurf des Dokuments zur Einrichtung der Kommission sei bereits fertig, und es seien auch erste Vorschläge für Kandidaten für die Mitglieder der Kommission gemacht und weitere Empfehlungen abgegeben worden.
Der Rechtsbeirat empfiehlt unter anderem, die Abstimmung vom 14. Juni 2023 zu wiederholen, bei der die Bischöfe sich darauf geeinigt hatten, dass die Kommission nicht nur historisch, sondern auch interdisziplinär sein und die Zeit von 1945 bis zur Einsetzung der Kommission abdecken soll. Der Rat äußert auch die Sorge, dass die Kommission, so wie sie vorgeschlagen wurde, eine „Untersuchungskommission“ sein könnte, die eine Art Urteil über einzelne Kirchenobere ausüben könnte, zu dem nur der Hl. Stuhl berechtigt ist. Er weist auch auf das Risiko hin, dass die Kommission mit Organisationen oder Einzelpersonen zusammenarbeiten könnte, denen nicht unbedingt das Wohl der Kirche am Herzen liegt. Weitere vom Rechtsrat aufgeworfene Fragen betrafen die Unmöglichkeit, die Anschuldigungen derjenigen zu überprüfen, die sich selbst als geschädigt bezeichnen, das Fehlen von Angaben zu den Kosten der Arbeit der Kommission und den Vorschlag, dass das von der Kommission gesammelte Material für Zivilklagen gegen kirchliche Einrichtungen verwendet werden könnte. Den Rechtsbeirat leitet der Bischof von Pelplin in Nordpolen, Ryszard Kasyna.
Mit der Vorbereitung einer entsprechenden Expertenkommission reagiert die Bischofskonferenz auf eine der Forderungen eines Briefs von 46 Missbrauchsbetroffenen, den diese im Mai 2024 an sie gerichtet hatten. Dazu gehört auch ein Treffen der Bischöfe mit einer Delegation von Missbrauchsopfern, das im November stattgefunden hat. Robert Fidura, der diesen Brief auch unterzeichnet hatte, fühlt sich nach der Veröffentlichung des Rechtsbeirats „wie wenn man mir ins Gesicht gespuckt hätte“. Der Rechtsprofessor Michał Królikowski, der auch Experte des Delegierten für Kinder- und Jugenschutz der Bischofskonferenz ist, kommentierte in der katholischen Zeitschrift Więż: „Die Stellungnahme des Rechtsrates spiegelt in erster Linie Zurückhaltung und Angst wider, nicht Professionalität und Substanz. Ich weiß nicht, was es mit dieser Angst auf sich hat […]. Geht es um den Mangel an Kontrolle, den Mangel an Demut, der dazu führt, die Bewertung unabhängigen Experten zu überlassen, um die Ungewissheit des Ergebnisses, die Unvorhersehbarkeit der Folgen, die sich ergeben, wenn die Wahrheit ans Licht kommt? Oder ist der Rat vielleicht der Ansicht, dass diese Wahrheit nicht ans Licht gebracht werden müsse, weil dies schwierig und kostspielig wäre? […] Vielleicht ist dies Ausdruck der Ansicht, dass zu diesem Thema bereits genug gesagt wurde und eine weitere Aufarbeitung dieser Themen unnötig sei.“ Królikowski gibt zu bedenken, dass die Meinung des Rechtsbeirats nicht eine Meinung von vielen sei, er genieße eine hohe Autorität, und es sei schwer vorstellbar, dass die Bischofskonferenz sich ihm widersetzt.
Regula M. Zwahlen