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Russland: Geistlicher widerspricht Patriarch Kirill

13. Februar 2025

An der Eparchieversammlung der Metropolie Moskau am 11. Februar hat ein Geistlicher den patriotischen Kurs der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) infrage gestellt. Gegenüber Patriarch Kirill, der auch Leiter der Eparchie Moskau ist, erklärte der Priester Aleksej Schljapin, er sei „mit einer solchen patriotischen Tendenz nicht einverstanden“. Die Pflicht des Geistlichen bestehe darin, „die Menschen zum Himmelreich zu führen, und nicht sich mit Patriotismus zu beschäftigen“. Patriarch Kirill reagierte spöttisch auf die Äußerung des Geistlichen und fragte ihn, ob er „nicht zufällig aus der Westukraine“ sei. Er forderte ihn auf, sich hinzusetzen und „ernsthaft über alles nachzudenken, das Sie jetzt so dahingeplappert haben“. Begleitet wurde die Antwort des Patriarchen von Gekicher und Applaus von vielen der Anwesenden.

Die Journalistin und Expertin für die ROK Ksenia Luchenko wies darauf hin, dass Schljapin ein Schüler des Priesters Daniil Sysojev sei, der 2009 umgebracht wurde. Dessen Anhänger schätzt sie als Fundamentalisten ein, deren radikale Positionen sie am ehesten in der Nähe von amerikanischen Evangelikalen verortet. So vertreten sie kreationistische Ansichten, sind überzeugte Abtreibungsgegner und propagieren eine kompromisslose Mission unter Nicht-Orthodoxen, insbesondere Muslimen. Sysojev vertrat zudem das Konzept des „Uranopolitismus“, bei dem die Zugehörigkeit zu einer spirituellen Gemeinschaft – eine „spirituelle Staatsbürgerschaft“ – wichtiger als die irdische Nationalität ist. Aleksej Schljapin entwickelte dieses Konzept weiter, schon 2013 führte in einem YouTube-Video aus, dass ein Christ konkrete Menschen schütze: seine Nächsten. Gott habe die Liebe zum Nächsten gepredigt, nicht die Liebe zu einem Volk, Land oder einer Heimat. Ein Patriot kämpfe daher „nicht zugunsten des Liebesgebots Christi, sondern für eine Ideologie“, was er klar verurteilte. Schljapins Frage an den Patriarchen muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Luchenko macht weiter darauf aufmerksam, dass „traditionelle Werte“, die von der ROK ständig propagiert werden, keine Ausrichtung auf den Staat beinhalten müssen. Außerdem kommen Herausforderer der Ideologie des Patriarchen nicht zwingend aus einer „liberalen Ecke“.

Nachdem das kurze Video des Dialogs in den sozialen Medien verbreitet und die ruppige Reaktion des Patriarchen thematisiert worden war, veröffentlichte die ROK die „ganze Antwort“ Kirills. So ergebe sich ein „ganz anderes Bild“ als in dem Ausschnitt, mit dem versucht werde, den Patriarchen und die ganze ROK zu verunglimpfen. Darin verweist Kirill auf die Verfolgungen der ROK in der Sowjetunion und ihre Haltung im Zweiten Weltkrieg, die zu einem besseren Verhältnis zum Staat geführt habe. Die Kirche müsse mit ihrem Volk sein, sie „kann nicht nicht für das Schicksal des Landes verantwortlich sein“, sagte er. Wenn die ROK der Aufforderung, sich nicht einzumischen, folgte, würde sie sich vom Erbe von Heiligen wie Alexander Nevskij und Dmitrij Donskoj lossagen, die „Patrioten und Beschützer unseres Vaterlandes waren“. Mit dieser Antwort spreche der Patriarch von den „korporativen Interessen der ROK“, während Schljapin über die Rettung des Menschen spreche, stellt Ksenia Luchenko fest.

Der Journalist und Orthodoxie-Experte Sergej Tschapnin sieht in der Antwort des Patriarchen eine „spirituelle Bankrotterklärung eines Teils des kirchlichen Milieus“. Aber Schljapins Auftritt beweise, dass es innerhalb der ROK noch immer Geistliche gebe, die sich getrauten, unbequeme Fragen zu stellen, was auch die ideologische Schwäche der ROK zeige. Auch die Gruppe „Christliche Vision“ findet, dass die Episode offenbart, dass es noch Widerspruch in der ROK gibt. Die Kirche bemühe sich den öffentlichen Raum zu kontrollieren, aber in ihrem Inneren gebe es noch Stimmen, die „bereit sind, nicht das zu sagen, was der offizielle Kurs verlangt“. Schon am 12. Februar war die Website von Aleksej Schljapin nicht mehr zugänglich. (NÖK)

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