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Polen: Neuer kirchlicher Missbrauchsskandal erschüttert Polen

25. Februar 2021

Für die unerhörte Langwierigkeit der kirchlichen Prozeduren bei Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger, die von Priester Andrzej Dymer begangen wurden, gibt es laut dem polnischen Primas, Erzbischof Wojciech Polak, keine Rechtfertigung. Ende November 2020 hatte Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der katholischen Zeitschrift Więź (Band) den Fall des im Erzbistum Szczeciń-Kamień tätigen Priesters neu aufgerollt, dessen unabgeschlossenes Verfahren vor einem kirchlichen Gericht seit 2008 geheim gehalten wurde und für Dymer bis vor kurzem keine Konsequenzen zeitigte. Zusätzliche Dramatik verleiht dem Fall der Tod des 58-jährigen Dymer, der am 16. Februar einem Krebsleiden erlag.

Über Dymers Missbrauch von vier minderjährigen Jungen wussten die Stettiner Bischöfe seit 1995 Bescheid, wie eine Reportage der Gazeta Wyborcza 2008 aufgedeckt hatte, worauf er von einem kirchlichen Gericht für schuldig befunden wurde. Gegen das Urteil legte Dymer Berufung ein, worauf der Fall jahrelang auf Eis lag. Nach einer Begegnung mit zwei von Dymers ehemaligen Opfern entband der Stettiner Erzbischof Andrzej Dzięga Dymer am 11. Februar 2021von seiner Funktion als Direktor des Medizinischen Johannes Paul II.-Instituts in Stettin. Am 12. Februar zeigte der polnische Fernsehsender eine Dokumentation über den „Längsten Prozess der Kirche“, in der auch ehemalige Opfer zu Wort kamen; am selben Tag verkündete das Danziger Kirchengericht ein Urteil in zweiter Instanz, das aber nicht veröffentlicht wird.

Bischof Polak, der auch der Kinder- und Jugendschutzbeauftragter der Polnischen Bischofskonferenz ist, entschuldigte sich am 15. Februar in einer öffentlichen Stellungnahme bei den in der Dokumentation auftretenden Opfern Dymers, die er im Juni vergangenen Jahres getroffen hatte, dafür, dass er laut Aussagen im Film ihre Erwartungen nicht erfüllt habe, obwohl er seine Hilfe bei der Bereitstellung psychotherapeutischer Hilfe durch die St. Joseph-Stiftung für Opfer sexuellen Missbrauchs angeboten habe. Der Fall sei inzwischen an den Heiligen Stuhl übermittelt worden, in dessen ausschließlicher Kompetenz er letztendlich auch liege.

Ebenfalls am 15. Februar kündigte Robert Fidura seine Mitgliedschaft im Rat der 2019 gegründeten St. Joseph-Stiftung der Polnischen Bischofskonferenz. Selbst Opfer vertrat er dort Missbrauchsopfer von Geistlichen. Er betonte, seine Kündigung habe nichts mit der Stiftung oder dem Primas, dem „einzigen Gerechten“ und „Motor kirchlicher Veränderungen“ zu tun, sondern einzig und allein mit der gesamten Bischofskonferenz. Der Fall Dymer habe das Fass für ihn zum Überlaufen gebracht und einmal mehr gezeigt, dass viele Geld in die Stiftung einzahlen, während die Leichen in den Schränken blieben. Insbesondere Erzbischof Andrzej Dzięga und der Danziger Erzbischof Sławoj Leszek Głódź legten ihm zufolge jeder Aufklärung kirchlicher Missbrauchsfälle Steine in den Weg.

Erstmals kritisierte auch ein kirchennaher Politiker, Entwicklungsminister Jarosław Gowin, Vorsitzender der Partei Porozumienia (poln. Verständigung), die Kirche auf Twitter am 17. Februar: „Als ich noch Senator war, intervenierte ich wegen Pater Dymer bei seinen Vorgesetzten. Das war vor JAHREN. Und in diesen JAHREN ist nicht viel passiert. Ein Skandal ist kaum das richtige Wort, um es zu beschreiben. Entweder stellt die Kirche endlich die Opfer von Sexualstraftätern an die erste Stelle, oder sie wird ihre Glaubwürdigkeit verlieren.“ Laut Więź-Chefredakteur Nosowski ist der Fall Dymer mit seinem Tod nicht abgeschlossen; er fordert die Einberufung einer Historikerkommission und die Öffnung aller Archive: „Wenn Gerechtigkeit Gerechtigkeit sein soll, dann darf Andrzej Dymers Tod nicht das Ende seines Falls bedeuten.“ Entlarvt werden müssten diejenigen, „die ihn gedeckt, mit kirchlichen Ehren überhäuft, mit großzügigen Spenden unterstützt und ihre eigene Unwissenheit vorgetäuscht“ haben.

Regula Zwahlen

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