Russland: Kirchliche Stimmen zum Jahrestag von Navalnyjs Tod
Zum Jahrestag des Tods des russischen Oppositionspolitikers Alexej Navalnyj haben mehrere Gedenkgottesdienste und -veranstaltungen stattgefunden. Navalnyj starb am 16. Februar 2024 in einem Straflager im hohen Norden Russlands, zu seiner Beisetzung am 1. März 2024 in Moskau waren trotz drohender Repressionen zahlreiche Menschen gekommen. Zum Jahrestag seines Tods am 16. Februar feierte der Geistliche Dmitrij Safronov die Panichida, den orthodoxen Gedenkgottesdienst für Verstorbene, an Navalnyjs Grab auf dem Borisovskij-Friedhof in Moskau. Safronov hatte schon Anfang März 2024, 40 Tage nach Navalnyjs Tod und zu seinem Geburtstag Gedenkgottesdienste gefeiert. Im April 2024 war er vom Moskauer Patriarchat für drei Jahre suspendiert worden und muss seither in einer Kirche als Psalmleser dienen.
Gedenkgottesdienste fanden auch in Berlin, London, Paris, Amsterdam und Vilnius statt. Bereits am 15. Februar gab es in Helsinki, Sofia, Miami, Denver, Düsseldorf, Turku, Toronto und Atlanta Panichiden. Am Gottesdienst in Paris hielt der bekannte Erzpriester Alexej Uminskij, dem vom Moskauer Patriarchat die Priesterwürde aberkannt und der ins Patriarchat von Konstantinopel aufgenommen worden war, eine Predigt. Auch eine Predigt von Erzpriester Andrej Kordochkin, der vom Moskauer Patriarchat zum Patriarchat von Konstantinopel übergetreten ist und mit dem Projekt Mir vsem Geistliche, die Kriegsgegner sind, unterstützt, wurde veröffentlicht. Die Aktivistengruppe „Christen gegen den Krieg“ rief dazu auf, ein vor einem Jahr verfasstes Gebet zu beten, das „unsere Trauer und unseren tiefen Glauben an die Barmherzigkeit Gottes ausdrückt, Hoffnung auf die Auferstehung gibt und das Gedenken an die bewahrt, die noch immer in Gefangenschaft leiden“.
Nach Navalnyjs Tod wurde sein orthodoxer Glaube thematisiert und auch angezweifelt, beim russischen Exilmedium Meduza erschien nun zum Jahrestag ein Kommentar zu Navalnyjs Religiosität. Darin argumentiert der Autor, dass Navalnyj in der russischen Politik mit seinem Glauben eine Ausnahmeerscheinung war, da er kein Kapital daraus geschlagen habe. Andere Politiker demonstrierten ihre Nähe zur Kirche durch öffentliche Teilnahme an Ritualen, christliche Werte widerspiegelten sich aber in ihrer Politik nicht. In der russischen Geschichte gebe es insgesamt wenig Beispiele für eine christliche Politik oder ein politisches Christentum, und diese hätten alle keinen Erfolg gehabt. Die Journalistin und Orthodoxie-Expertin Ksenia Luchenko widerspricht dem mit dem Verweis auf Navalnyjs Befolgung orthodoxer Rituale, so habe er sogar im Gefängnis gefastet. Er habe sich auch nicht von der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) distanziert, er habe die Kirchenleitung und ihr Verhalten schlicht nicht beachtet, weil sie für seinen persönlichen Glauben keine Rolle gespielt habe. Als stärkste Erkenntnis betrachtet Luchenko, dass „es keine ‚alternative Orthodoxie‘, keine anderen Jurisdiktionen, keine reine Kirche braucht“. Es „gibt einfach kein Monopol des Moskauer Patriarchats, weder auf den Menschen noch auf die Orthodoxie“.
Zudem gibt es eine Debatte darüber, ob Alexej Navalnyj als Märtyrer oder Heiliger bezeichnet werden kann, über die das russische Online-Exilmedium Port einen Überblick bietet. Verschiedene Geistliche wie der Priester Valerian Dunin-Barkovskij vom Projekt Mir vsem oder Erzpriester Vladimir Seljavko, der nach seiner Suspendierung durch das Moskauer Patriarchat ins Litauische Exarchat des Patriarchats von Konstantinopel aufgenommen wurde, äußern sich sehr positiv über Navalnyj und bezeichnen ihn als Heiligen oder Märtyrer. Auch Schwester Vassa Larin erörterte auf YouTube auf Russisch und Englisch, ob Navalnyj als Märtyrer betrachtet werden kann. Der Orthodoxie-Experte Sergej Tschapnin gab zu bedenken, dass eine Heiligsprechung Navalnyjs in der heutigen ROK mit ihrer Staatsnähe völlig undenkbar sei. Viele Geistliche betrachteten vielmehr die Haltung der Gläubigen gegenüber Navalnyj als ausschlaggebend. (NÖK)

Der verstorbene russische Oppositionspolitiker Alexej Navalnyj bezeichnete sich in den letzten Jahren wiederholt als gläubiger Christ. Ivan Petrov zeichnet seine christliche Weltanschauung und sein Handeln nach.
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