Estland: Präsident weist Religionsgesetz zurück
Der estnische Präsident Alar Karis hat die Anpassungen des Kirchengesetzes, die am 9. April vom Parlament verabschiedet worden waren, abgelehnt und ans Parlament zurückverwiesen. Zwar untergrabe das Moskauer Patriarchat die „Souveränität und den demokratischen Staat“, aber das Gesetz widerspreche in der jetzigen Form der Verfassung und „schränkt die Versammlungs- und Religionsfreiheit unverhältnismäßig“ ein, erklärte der Präsident in seinem Pressestatement.
Gegen die Gesetzesanpassung führte Karis an, dass es nicht an rechtlichen Mittel fehle, sondern das Problem in ihrer Umsetzung liege. Die bestehenden Instrumente „müssen aktiver genutzt werden“, fügte er hinzu. Im Strafgesetz werde Staatsverrat als Verbrechen behandelt, wobei kürzlich ein Gerichtsurteil dazu auch „feindliche Handlungen und Verbreitung von Desinformation mit dem Ziel, einer ausländischen Organisation zu helfen“, gezählt habe. Das Strafgesetz verbiete auch die Anstiftung zu Krieg oder anderer bewaffneter Gewalt. Auch die „bewusste, unmittelbare Unterstützung eines Akts der Aggression durch einen ausländischen Staat“ sei strafbar.
Weiter müssten die Folgen für die Versammlungs- und die Meinungsäußerungsfreiheit bedacht werden, erklärte der estnische Präsident. Die Verfassung verbiete Vereinigungen, Bünde und politische Parteien, deren Ziele oder Handlungen auf die gewaltsame Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung Estlands gerichtet seien oder die auf andere Art dem Gesetz widersprächen. Er warf zudem die Frage auf, ob eine Sicherheitsbedrohung durch eine ausländische Führungsperson der Vereinigung zugeschrieben werden könne. Religionsgemeinschaften seien von der Verfassung besonders geschützt, wenn ihre Handlungsmöglichkeiten trotzdem so eingeschränkt werden könnten, wäre ein analoges Verbot auch für andere Vereinigungen, darunter politische Parteien, möglich. Abschließend erklärte der Präsident, dass die Verfassung die nationale Sicherheit und gesellschaftliche Ordnung mit „zweckmäßigeren und genauer definierten Mitteln zu schützen erlaubt“, daher sei ein solches Verbot unnötig.
Gemäß der vom Parlament verabschiedeten Gesetzesanpassung darf eine Kirche, Gemeinde oder ein Kloster in Estland nicht von einer Person oder Vereinigung geleitet werden, die sich im Ausland befindet. Sie dürfen auch nicht durch ihr Statut oder andere Dokumente oder wirtschaftlich mit einer Religionsgemeinschaft, einem spirituellen Zentrum, Leitungsorgan oder spirituellen Anführer im Ausland verbunden sein, wenn diese eine Bedrohung für die Sicherheit oder die verfassungsmäßige oder öffentliche Ordnung Estlands darstellen. Eine Bedrohung besteht, wenn die betreffende Person oder Institution einen militärischen Angriff unterstützt oder zu Krieg, Terrorismus oder sonstiger illegaler Gewaltanwendung aufruft.
Das Gesetz zielt auf die Estnische Christliche Orthodoxe Kirche (ECOK), die dem Moskauer Patriarchat untersteht. Seit der russischen Großinvasion in die Ukraine steht die ECOK wegen der Haltung des russischen Patriarchen Kirill und der Russischen Orthodoxen Kirche zum Krieg unter Druck. Mehrfach mussten sich ihre Bischöfe vor Behörden rechtfertigen und die Aufenthaltsbewilligung ihres Oberhaupts, Metropolit Evgenij (Reschetnikov), wurde nicht verlängert. Seither leitet er die ECOK von Russland aus. Als Reaktion hat die ECOK ihr Statut und ihren Namen geändert, um ihre Unabhängigkeit zu betonen, aber sie lehnt es ab, ihre Verbindung zum Moskauer Patriarchat ganz aufzulösen.
Die ECOK, die das Gesetz kritisiert hatte, dankte dem Präsidenten. Sie betonte, dass sie sich seit jeher für einen konstruktiven Dialog zwischen Religionsorganisationen und dem Staat einsetze, der auf gegenseitigem Respekt, Gesetzlichkeit und demokratischen Prinzipien basiere. Sie hoffe, dass das Innenministerium ihr die Möglichkeit geben werde, an Gesprächen teilzunehmen und so das Parlament und die ganze Gesellschaft zu überzeugen, dass die kanonische Verbindung der ECOK zur ROK keine Sicherheitsbedrohung für den Staat darstelle.
Das Gesetz wird nun an das Parlament zurückverwiesen. Der estnische Innenminister Igor Taro betonte, dass das Thema auf der Tagesordnung bleiben werde. Estland dürfe nicht zulassen, dass „unsere Gläubigen in Abhängigkeit von irgendeinem feindlichen Regime geraten, das ist ein absolut universelles Prinzip“, sagte Taro weiter. (NÖK)

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