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Belarus: Katholische Kirche in Minsk von Behörden geschlossen

21. Oktober 2022

In Minsk haben die Behörden den Vertrag zur unentgeltlichen Nutzung der Roten Kirche mit der römisch-katholischen Gemeinde der Hl. Simeon und Helena aufgelöst und die Kirche geschlossen. Die Kirchgemeinde wurde am 5. Oktober aufgefordert, ihren Besitz innerhalb weniger Tage aus dem Kirchengebäude zu entfernen. Als Grund geben die Behörden einen Brand in der Kirche Ende September an, der Renovierungsarbeiten nötig mache.

Die Kirche der Hl. Simeon und Helena, die wegen ihres Backsteinbaus Rote Kirche genannt wird, wurde 1910 fertiggestellt. Finanziert hatte sie der Mäzen und Katholik Edvard Vojnilovitsch. Sie befindet sich am Unabhängigkeitsplatz in Minsk, in unmittelbarer Nähe des Regierungssitzes, und gilt als eines der Wahrzeichen der Hauptstadt. Nach dem Ende des Sozialismus gab das unabhängig gewordene Belarus die Kirche nicht der Gemeinde zurück, ließ diese das Gotteshaus aber kostenlos nutzen.

Der Brand in der Nacht auf den 26. September hat laut der Gemeinde nur einen kleinen Bereich in der Sakristei in Mitleidenschaft gezogen. Allerdings wurde die Kirche bei den Löscharbeiten unter Wasser gesetzt. Deshalb schlossen die Behörden des Stadtteils die Kirche für Besuche und Gottesdienste, bis alles wieder instandgesetzt ist. Beim Feuer gibt es jedoch einige Ungereimtheiten, so hat der Nachtwächter kurz vor dem Feuer Lärm in Gebäude gehört, zudem seien Scheiben in der Sakristei eingeschlagen gewesen, daher vermutet die Gemeinde Brandstiftung. Zudem kritisiert sie, dass die ganze Kirche wegen Renovationsarbeiten in einem sehr kleinen Bereich geschlossen bleiben soll. Zumal ihr weder eine Übersicht über die geplanten Arbeiten noch ein Zeitplan vorliegt, und die Interessen der Gemeinde und der Gesellschaft nicht berücksichtigt worden seien.

Die Gruppe „Christliche Vision“ aus Belarus protestierte in einer Erklärung gegen die „willkürliche und unbegründete“ Auflösung des Vertrags zur kostenlosen Nutzung der Kirche durch die Kirchgemeinde. Dabei handle es sich um die Ausübung von Druck auf eine Religionsgemeinschaft, eine „grobe Einmischung in das Leben religiöser Organisationen“ und ein „Mittel zur Einschüchterung aller Gemeinden und religiösen Organisationen in Belarus“. Sie forderte eine schnelle Untersuchung des Brandes und das Informieren der Öffentlichkeit über deren Ergebnisse. Ebenso forderte sie, dass Vertreter der Gemeinde und bevollmächtigte Vertreter der katholischen Kirche auf das Areal gelassen werden, um die Schäden festzustellen. Die „gerechteste und angemessenste Lösung“ seitens der Regierung wäre die Restitution der Roten Kirche an die Kirchgemeinde oder die Eparchie Minsk der römisch-katholischen Kirche, so die Gruppe.

Am 14. Oktober fanden Gespräche zur Situation der Roten Kirche statt, an denen Vertreter verschiedener Behörden sowie der Apostolische Nuntius, Ante Jozić, und der katholische Erzbischof Juzaf Staneuski von Minsk teilnahmen. Die Kirchenvertreter baten darum, an den Prozessen um die Schadensfeststellung und Renovierung beteiligt zu werden, und dass der Gemeinde für die Zeit des Umbaus ein anderes Gebäude für Gottesdienste zur Verfügung gestellt wird. Über die Reaktion der Behörden wurde nichts bekannt. Die Behörde, die die Kirche verwaltet, erklärte lediglich, es sei unmöglich, die Kirche während der Renovation zu nutzen, unter anderem weil Strom, Wasser und Heizung ausgeschaltet worden seien. Verschiedene Kommentatoren sehen das Vorgehen der Behörden gegen die Rote Kirche im Zusammenhang mit den zivilen Protesten gegen die gefälschten Präsidentenwahlen im Sommer 2020. Damals hatten Demonstranten in der Roten Kirche Zuflucht vor der Polizei gesucht, woraufhin die Kirche abgeriegelt worden war. Zudem hatte sich das damalige Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in Belarus mit Aufrufen zum Ende der Gewalt und einem Dialog mit den Protestierenden beim Regime unbeliebt gemacht. (NÖK)

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