Deutschland: ÖRK-Erklärung verurteilt russische Invasion, vermeidet aber Kritik an der ROK
Die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) hat den Krieg in der Ukraine als „russische Invasion“ benannt und als „illegal und nicht zu rechtfertigend“ verurteilt. Die religiöse Legitimierung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine durch ranghohe Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), darunter Patriarch Kirill, findet in der Erklärung des ÖRK zum „Krieg in der Ukraine, Frieden und Gerechtigkeit in der Region Europa“ jedoch keine Erwähnung.
In seiner Erklärung ruft der ÖRK alle Konfliktparteien zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf und appelliert zu „Dialog und Verhandlungen, um einen nachhaltigen Frieden“ zu erreichen. Den „Missbrauch von religiöser Sprache und Autorität, um bewaffnete Aggression und Hass zu rechtfertigen“, lehnt der ÖRK ab. Die Erklärung verweist auf die schon im Juni vom Zentralkomitee festgehaltene „wesentliche Rolle“ des ÖRK bei der Begleitung der Mitgliederkirchen in der Region und als „Plattform und sicherer Raum für Begegnung und Dialog“. Die Anwesenheit von Kirchenvertretern aus der Ukraine und Russland sowie Delegierten und Teilnehmenden aus Europa und der ganzen Welt an der Vollversammlung habe „als praktische Gelegenheit für diese Begegnung und einen ergebnisorientierten Dialog für den Wandel“ gedient. Schließlich fordert die Erklärung die Christ:innen und die Leitung der Kirchen in Russland und der Ukraine auf, sich gegen den Krieg auszusprechen.
Die endgültige Version der Erklärung weicht nur in wenigen Details von dem am 7. September vorgestellten Entwurf ab, der zu intensiven Debatten an der Vollversammlung geführt hatte. So wurden die Vertreter aus der Ukraine und Russland zu „Vertretern aus der Ukraine und der multinationalen Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche“. Bei der Passage, dass das Zusammentreffen an der Vollversammlung „als praktische Gelegenheit für diese Begegnung“ gedient habe, wurde der zweite Satzteil „und einen ergebnisorientierten Dialog für den Wandel“ gestrichen.
Archimandrit Filaret Bulekov von der ROK fand den Entwurf nach der Präsentation besser, als er erwartet hatte. Er habe gedacht, der Text würde „politisierter und aggressiver“ sein, aber die Kommission habe sich um Balance bemüht. Dennoch sei er ein „Beispiel für den Informationskrieg“, er „hebt etwas hervor und verdeckt andere Dinge“. Deshalb sprach er dem Dokument seine Wichtigkeit ab und stellte es auf eine Stufe mit Statements von McDonald’s und Starbucks. Zudem unterstellte er dem entworfenen Dokument, die russische Delegation beschuldigen zu wollen. Es enthalte „kein Wort über andere Parteien in diesem Prozess in der Ukraine“. Es sei wie die Rede des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der darin seine „persönliche Verantwortung“ für die Ereignisse in der Ukraine verschwiegen habe. Außerdem vermisste Filaret die Aufforderung europäischer Kirchen an ihre Regierungen, alles für den Frieden zu tun.
Im Gegensatz zu Filaret, der ungehindert vier Minuten sprechen konnte, wurde zwei ukrainischen Stimmen wie vom Prozedere vorgesehen nur je eine Minute Redezeit gewährt. In seiner Wortmeldung drückte Roman Sigov von der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) seinen Schmerz darüber aus, dass im Entwurf Opfer und Aggressor gleich behandelt würden. Er hoffte, das Komitee würde die schriftlichen Kommentare der ukrainischen Beobachter berücksichtigen und somit die Stimme der Ukrainer:innen in der Diskussion über den Krieg gegen die Ukraine hörbar machen. Im Gegensatz dazu sei die ROK als ÖRK-Mitglied an der Erarbeitung des Dokuments beteiligt und stelle auch die größte Zahl an Vertretern an der Versammlung und im Zentralkomitee. Zugleich wisse er von mindestens 16 russischen Bischöfen, die den Krieg unterstützten, darunter Patriarch Kirill; das sei inakzeptabel.
Olexandra Kovalenko, ebenfalls von der OKU, bat in ihrem Statement darum, die „offensichtliche Wahrheit nicht um der Diplomatie willen zu kompromittieren. Nennen Sie es einfach, was es ist – russische Aggression gegen die Ukraine. Wenn die Kirchen ihre Stimme nicht erheben, wenn Gewalt und Ungerechtigkeit geschehen, werden wir dann noch ‚Salz der Erde‘ sein? Sie rief die Delegierten der ROK auf, ihre blauen Karten – die offiziellen Delegierten stimmen mit blauen (dagegen) und orangen (dafür) Karten ab – zu heben, falls sie gegen den Krieg gegen die Ukraine seien. Niemand von der russischen Delegation hob seine Karte. Kovalenko selbst hob ihren Teilnehmer-Badge, da sie als Beobachterin keine Karten zum Abstimmen hatte.
Metropolit Antonij (Sevrjuk), Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats und Leiter der ROK-Delegation an der ÖRK-Vollversammlung, zeigte sich „vorsichtig optimistisch“ zur Position des ÖRK. Er habe bei der Erarbeitung des Dokuments „ungeachtet des beispiellosen politischen Drucks“ auf „jegliche Anschuldigungen an die Adresse der ROK“ verzichtet und ihre „umfangreiche humanitäre Mission zugunsten der Flüchtlinge und Opfer des Konflikts“ gewürdigt. Doch die endgültige Version der Erklärung sei trotzdem hochgradig politisiert, nicht alle Änderungsvorschläge der ROK seien aufgenommen worden, darum könne sie das Dokument nicht unterstützen. Die an der Versammlung begonnene Diskussion könnte für den ÖRK jedoch ein Startpunkt für die „objektive und unvoreingenommene Erforschung der Gründe für den langjährigen Konflikt in der Ukraine“ sein, meinte Metropolit Antonij weiter. (NÖK)
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