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Russland: Kreml propagiert Vergleich zwischen Taufe der Rus’ und Ukraine-Krieg

11. August 2022

Der Kreml empfiehlt staatlichen und regierungsfreundlichen Medien sowie Politikern, Parallelen zwischen dem Krieg in der Ukraine und der Taufe der Rus‘ oder der Schlacht an der Neva zu ziehen. Damit soll der Krieg in die Nähe von zwei positiv besetzten, als zentral für die russische Entwicklung geltenden historischen Ereignissen gerückt werden. Dies ist in zwei Anleitungen ausgeführt, die offenbar im Juli von der Präsidialadministration verfasst wurden und dem Online-Medium Meduza nach eigenen Angaben vorliegen.

Laut der Überlieferung ließ sich Fürst Vladimir/Volodymyr im Jahr 988 taufen und christianisierte daraufhin sein Reich, die Kiewer Rus‘. Deshalb wird der „Täufer der Rus‘“ als apostelgleicher Heiliger verehrt und der 28. Juli in Russland und der Ukraine als Tag der „Taufe der Rus‘“ gefeiert. In dem einen Leitfaden heißt es, die Taufe der Rus‘ sei die „Grundlage der Stärkung und Einheit des russischen Staats auf Jahrhunderte“. Der orthodoxe Glaube „lehrt Mitgefühl, Liebe zum Nächsten und Toleranz gegenüber anderen“, diese Werte seien auch die Grundlage der russischen Zivilisation und hätten die Vereinigung hunderter Völker in Russland ermöglicht. Sowohl die Taufe der Rus‘ als auch der Krieg in der Ukraine hätten die „staatlichen Grundlagen“ des Landes und der Entwicklung Russlands gefestigt. Dies geschehe dank der „Konsolidierung der Gesellschaft“ hinter der Armee und dem „strategischen Kurs des Präsidenten“. Russland sei wieder zur Ausübung seiner Mission fähig geworden: die „Unterdrückten zu beschützen“.

Ein Ziel der Spezialoperation, wie der Krieg gegen die Ukraine in Russland offiziell genannt wird, ist laut der Anleitung der „Kampf gegen die Gottlosen“, die Vergewaltiger, Räuber und Mörder seien. Als solche Gottlosen gelten die ukrainischen Soldaten, über die zu berichten empfohlen wird, sie würden Opfer darbringen und rituelle Tötungen vollziehen. Außerdem würden sie Frauen und Kinder als „lebende Schutzschilde“ missbrauchen. Viele der „Ukronazis“ seien „offene Satanisten und Anhänger menschenfeindlicher Kulte“.

Die Schuld am Ukraine-Krieg gibt das Dokument dem „kollektiven Westen“, der von seiner Einzigartigkeit und der Minderwertigkeit der Orthodoxen überzeugt sei. Er habe den Krieg mit Waffenlieferungen an die Ukraine, die er damit zum Brückenkopf für einen Angriff auf Russland gemacht habe, provoziert. Seit Jahrhunderten sei das strategische Ziel des kollektiven Westens in Bezug auf Russland Eindämmung, Schwächung, Zerstückelung und vollständige Vernichtung.

Auch das zweite Dokument, das Parallelen zur Schlacht an der Neva 1240 zieht, beschuldigt den „kollektiven Westen“, seit jeher Russland mit der gleichen Taktik zu zersplittern zu versuchen, indem er „Völker, die in der Nähe der Grenze zu Russland leben“, gegen Russland aufwiegelt. Angriffe des Westens würden aber immer dazu führen, dass „sich die Gesellschaft um den nationalen Führer schart“ und auf dem Schlachtfeld heldenhaft die Angreifer zurückschlage. Das sei auch nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs geschehen.

Die Zerstörung Russlands strebe der Westen an, um sich dessen Ressourcen anzueignen. Früher war diese Ressource laut dem Dokument die russische Bevölkerung, heute gehe es um Bodenschätze. Die westliche Konsumgesellschaft benötige viele Ressourcen, weil der Westen seine eigenen schon vor Jahrhunderten aufgebraucht habe, dies sei auch der Grund für Kolonialismus und Neokolonialismus. Der Ukraine-Krieg sei ein Präventivschlag, die Regierung und der russische Präsident Vladimir Putin hätten damit eine Wiederholung der Ereignisse vom Juni 1941 verhindert.

Meduza verweist auf verschiedene Beiträge in russischen Medien, in denen die Erklärungen aus den beiden Anleitungen angewendet werden. Die Schuldzuweisungen an den Westen und Darstellung der Spezialoperation als Präventivschlag gehören seit dem Beginn des Kriegs fest zur Rhetorik der Regierung, die auch von vielen russischen Medien übernommen wurde.

Für die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) spielt die Taufe der Rus‘ eine zentrale historische Rolle. Während der Liturgie zur Feier der Taufe der Rus‘ am 28. Juli sagte der russische Patriarch Kirill, Fürst Vladimir habe „unser Volk aus der Finsternis des Heidentums geführt und den echten Weg zur Erlangung der Heiligkeit und Tugend geöffnet, zu all dem, was zum geistigen Kern unseres Volks geworden ist“. In ihrer Rhetorik ähnelte die Kirchenleitung ROK der staatlichen Kommunikationsanleitung. So unterstellte sie im Mai in einem Video den ukrainischen Streitkräften „Fälle von offenem Satanismus“ sowie „heidnisches Sektierertum“ und „Opferdarbringungen“. In seinen Predigten hat Patriarch Kirill den Krieg wiederholt darauf zurück geführt, dass ausländische Kräfte die Ukraine gegen Russland aufgebracht hätten. Auch die Behauptung über menschliche Schutzschilde äußerte er. (NÖK)

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Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine ließ in den letzten Wochen die Sorge vor einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine wachsen. Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) schildert die Reaktionen der orthodoxen Kirchen in der Ukraine und Russland auf die Kriegsgefahr. Das Interview wurde am 16. Februar 2022 geführt.